Die Anfahrt im ICE von München nach Rostock am 3. August 2003 verlief reibungslos.
In Warnemünde stießen noch weitere Trainees zur Münchener Truppe hinzu und es
gab manch herzhaftes Wiedersehen mit alten Gesichtern. Mit der Nachtfähre ging
es dann über die Ostsee nach Trelleborg. Ein 14-köpfiger Shantychor aus Wetzlar
kam noch hinzu und so machten wir uns gemeinsam im Bus auf den Weg nach Karlskrona.
Natürlich war auch das Wetter hier in Schweden ein Stück zu gut, so dass sich
die Segler unter uns sofort die bange Frage stellten: Werden wir denn auf diesem
Törn auch ausreichend Wind haben?
Kaum in Karlskrona angekommen sahen wir die ersten Masten zum Himmel ragen.
Da lag eine ganze Reihe von Windjammern und Traditionsseglern! Das Dreimastvollschiff
mit dem roten Rumpf konnte nur die Kershones sein, die riesige weiße Viermastbark
kannten schon die meisten von uns - die Sedov und last not least war da noch
die wunderschöne Viermastbark Kruzenshtern, welche mit ihrem schwarzgepönten
Rumpf, und dem weißen Pfortengang mit den angedeuteten Stückpforten unverwechselbar
war. Plötzlich begannen unsere Herzen schneller zu schlagen.
Schon kurz darauf schleppten wir unser Gepäck vom Bus zum Schiff und reckten
unserer Hälse in die Höhe. Immerhin ist der Großmast 58 Meter hoch. Dann gingen
wir an Bord wo das Einchecken eher hastig und unkoordiniert vor sich ging. Zusammen
mit dem Shantychor, welcher vor dem Auslaufen noch auf der Pier einen Auftritt
hatte, belegten wir drei Kammern tief unterhalb des Brückendecks.
Schon bald darauf legten wir ab, wobei uns der schwache, leicht vorliche Wind
die erste Enttäuschung bescherte. Die Zweite folgte sogleich! Wir alle hatten
uns so auf die Teilnahme an der Hiorten-Regatta gefreut, aber die wurde abgesagt.
Der Grund war der, dass ein verletzter russischer Kadett nach Kaliningrad gebracht
werden musste. Der arme Kerl hatte sich an Land - nicht etwa an Bord - eine
schwere Schädelverletzung zugefügt und sollte anstatt in Schweden in Russland
behandelt werden. So machte sich die Kruzenshtern unter Maschine mit Kurs Südost
auf den Weg die Ostsee zu queren. Immerhin wurden die Stagsegel gesetzt, so
dass wenigstens ein bißchen Segelatmosphäre auftrat.
Von diesen unabänderlichen Widrigkeiten abgesehen wurden wir alle aber auch
positiv überrascht. Entgegen den Erfahrungen, welche einige von uns schon auf
der Sedov gemacht hatten, hinterließ die Kruzenshtern auf Anhieb einen recht
guten Eindruck: Das Schiff war ziemlich gepflegt, die geräumigen Kammern waren
klimatisiert, das Essen war gut und reichhaltig, der Messeservice hervorragend
und die russische Crew durchweg freundlich und informativ. Leider verpassten
uns die schmutzigen und immer nassen Mannschaftstoiletten, bei denen es immer
an Klopapier mangelte, einen dicken Wermutstropfen. Liebenswürdig wie unsere
Damen waren, ließen sie uns Männer das ihnen zugeteilte WC und ihre Duschen
mitbenutzen.
Schon bald stellte sich heraus, dass wir in die Bordroutine nicht integriert
wurden. So richteten wir uns allmählich auf ein geruhsames Passagierleben ein:
Beobachten, fotografieren, schnacken, lesen und immer wieder essen waren angesagt.
Da der erste Tag an Bord so ruhig verlaufen war, stellten wir uns nun auf eine
lange gemütliche Nacht ein. Es kam aber ganz anders! Unser Shantychor hatte
sich nämlich freiwillig zum Weckdienst organisiert. Noch vor 5 Uhr stand der
Trupp zum morgendlichen Wettduschen und Bodysprayen parat und man mochte meinen,
dass sich die alten Herren bereit machten in die Oper zu gehen. Einer davon
hatte sogar ein gut durchdachtes Tütensortierraschelsystem entwickelt, so dass
man auch im Tiefschlaf am Rascheln teilhaben konnte. Da die Geräuschkulisse
zum Wecken aller vielleicht immer noch nicht ganz ausreichte, warf täglich ein
selbsternannter "Föhnrich zur See" in aller Frühe seinen Haartrockner an. Zum
Ausgleich verwöhnten uns die Jungs an manchem Abend mit Seemannsliedern und
Shantys.
Am Morgen des 2. Tages wurde der verletzte Kadett in Sichtweite der polnisch-russischen
Küste von einem Lotsenboot aufgenommen. Die Kruzenshtern ging dann auf Gegenkurs
und bald darauf durften die ersten Trainees unter Aufsicht eines Toppsgasten
die Herausforderung annehmen das überdurchschnittlich hohe Rigg zu erklimmen.
Je nach Gusto konnten so Marssaling, Bramsaling oder gar die Royalrah bezwungen
werden. Irgendwann wurde gewendet und dann kam der heiß ersehnte Moment wo von
der russischen Crew und den Kadetten die ersten Rahsegel gesetzt wurden. Wir
Mitsegler sollten uns dabei aufs Traineedeck hinter der Brücke zurückziehen.
Von dort aus konnten wir dann dem Geschehen aufmerksam zusehen. Dabei mussten
wir uns selber eingestehen, dass wir bei solch einem routinierten Ablauf nur
Sand im Getriebe gewesen wären.
Zur Bereicherung der folgenden Tagesabläufe boten uns die Russen stolz ausführliche
Besichtigungen ihres schönen Schiffes an. Neben einer Führung über das Oberdeck
wurde uns die modernen Navigationseinrichtungen im Kartenhaus gezeigt, welche
noch von der Hightech im Funkraum übertroffen wurde. Im Maschinenraum wurden
uns die zwei leistungsstarken Antriebsdiesel mit je 1.000 PS sogar auf deutsch
präsentiert. Außerdem konnten wir das hübsche kleine Museum bewundern.
Wegen des ungünstigen Windes musste die Viermastbark ein paarmal kreuzen bevor
sie auf Westkurs ging und Bornholm backbords und Rügen steuerbords passierte.
Wie generell navigiert wird, wurde uns Interessierten von Eckhardt und Walter
auf unterhaltsame Art und Weise präsentiert und mit Videos und Standbildern
lebhaft untermalt.
Bewundert von tausenden von Zusehern lief die Kruzenshtern dann am Donnerstag
den 7. August in Warnemünde ein. Dort genossen wir Trainees dann den Abend und
die folgenden Tage. Buden und Essensstände, Kirmes und Musikauftritte gab es
im Übermaß. Und natürlich gab's da das Gewirr der unzähligen Masten und Leinen
der herrlichen Segler an der Pier oder die vielen Segel entlang der Küste. Auch
die IGA mit all ihrer Pflanzenpracht sollte nicht unerwähnt bleiben.
Selbstredend war nach so viel Genuss und herumlaufen auch einmal eine Pause
fällig. Und dazu bot sich die Kruzenshtern, welche am Tag zwei 6-Stundentörns
mit ca. 200 Gästen machte, geradezu an. Allerdings wurde einigen von uns diese
Rast vom Leiter der Tallship-Friends vermiest. Zwei Leuten wurde der Zutritt
aufs Schiff gänzlich verwehrt; diejenigen die schon auf dem Schiff waren, also
auch ich, wurden sozusagen unter Kammerarrest gestellt. Trotzdem spähte ich
nach einer Weile die Lage an Deck aus und informierte daraufhin die anderen.
Kurt (er wird sicherlich jedem Interessierten ausführlicher darüber berichten)
war sofort zu einer Meuterei entschlossen. Nachdem der für eine Meuterei obligatorische
5. Mann gefunden war gingen wir trotzig an Deck. Der Aufstand hat sich jedenfalls
gelohnt: Im traumhaften Abendrot der untergehenden Sonne tummelten sich Dutzende
Zwei- und Dreimaster. Ein Bild für die Götter!
Erwin Welker
P.S.: Hinweis in eigener Sache: Jedem, der Gefallen an meinem Roman "Raubkatzen
der Meere" gefunden hat, maile ich gerne die Fortsetzung "Raubkatzen
auf nebliger See" in elektronischer Originalfassung (1 MB) kostenlos zu
unter: er_welker@web.de