VERMISCHTES Dienstag, 18. Juli 2000
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Das größte Segelschiff als Faustpfand

Moskau bezahlte seine Schulden bei einem Schweizer Geschäftsmann nicht – jetzt wurde in Brest die russische „Sedov“ konfisziert

Von Tomas Avenarius

Moskau – In den alten Zeiten hätte man wegen solch einer Sache wahrscheinlich einen kleinen Krieg angefangen. Heute hingegen bleibt es bei verschnupften Gesten von Diplomaten, und das beleidigte Nationalgefühl findet seinen Ausdruck allenfalls in einer gesalzenen Zeitungsschlagzeile: „Schiff – bei Fuß!“ titelte die Iswestija. „Am Tag des Sturms auf die Bastille greifen sich die Franzosen das russische Segelschiff Sedov“, schreibt die Zeitung. In Klartext übersetzt müsste es allerdings anders heißen: Weil Moskau seine Schulden nicht bezahlt, wird nun in Frankreich russisches Staatseigentum beschlagnahmt. Und getroffen hat es dabei eben ein Schulschiff aus Murmansk mit 176 Mann Besatzung.

Vergangene Woche bereits hatte die französische Justiz die Sedov im Hafen von Brest praktisch gepfändet – und das, nachdem Frankreich den Viermaster offiziell zu einer Regatta anlässlich des französischen Nationalfeiertags am 14. Juli eingeladen hatte. Das war zwar offenbar keine gezielte Falle, aber dennoch ein wenig gastliches Verhalten. Der Grund für die Aktion der französischen Behörden: Der Schweizer Geschäftsmann Nessim Gaon fordert von Moskau sein Geld ein, bekommt es aber nicht. Das ist im russischen Geschäftsleben zwar Alltag, nach Ansicht französischer Richter aber ein Grund, Moskauer Staatseigentum zu konfiszieren. Da der zuständige Pariser Richter offenbar nicht gleich aufs Ganze gehen und die Möbel aus der russischen Botschaft in Paris abtransportieren lassen wollte, nutzte er offenbar die Gunst der Stunde und hielt sich fürs Erste an den 117 Meter langen Segler. Kaum lief die Sedov blank geputzt und mit blendend weißen Segeln in den Hafen von Brest ein, tauchte schon der Staatsanwalt an Bord auf.

Der Schweizer Unternehmer behauptet, Moskau schulde ihm mindestens 120 Millionen Mark aus früheren Geschäften. Um sein Geld einzutreiben, setzte er bei den Behörden durch, jegliches greifbare russische Staatseigentum zu konfiszieren. Die Sedov dient Russlands Hochseefischereibehörden als Schulschiff, sie segelt im Namen der Staatlichen Technischen Universität der Stadt Murmansk. Wahrscheinlich ist die Angelegenheit allen Beteiligten mittlerweile peinlich, auch wenn das Schiff inzwischen – mit zwei französischen Marineoffizieren an Bord – an der Regatta im Atlantik teilnehmen darf.

Gaon jedenfalls sagte laut Moskow Times zur Beschlagnahme des Schiffs mit 100 Kadetten und 15 Schulkindern an Bord: „Es war gegen meinen Wunsch. Aber was soll ich machen?“ Schließlich müsse er an sein Unternehmen denken und seine Schulden abzahlen. Davon hat er offenbar genug. Seine Anwälte fordern von Moskau 1,6 Milliarden Mark an Schuldenrückzahlung und Wiedergutmachung wegen Geschäftsschädigung. Mit der 75 Jahre alten Sedov jedenfalls will er sich nicht zufrieden geben: „Meint irgendwer wirklich, ich wolle einen alten Segler konfiszieren und verkaufen? Nein – ich will nur endlich mein Geld.“ Sein Vorschlag: „Sie können doch die russische Botschaft beschlagnahmen und die Gemälde pfänden.“


Reuters
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