Fr, 10. April: Nun sitze ich tatsächlich im Flugzeug.
10.000 Meter unter mir, in einem winzigen Ausschnitt seiner wahren Größe,
zeigt sich der Atlantik in einem herrlichen Azurblau. Auf dem Flug von
Amsterdam nach Boston quert man diesen Ozean in gerademal 8 Stunden. Ich
bin auf dem Weg, einen Kindheitstraum zu verwirklichen. Und der besteht
darin, eben diesen Ozean zu überqueren. Aber nicht im Flugzeug, nicht
auf einem Ozeanliner, sondern auf einem Großsegler, einem richtigen Vollschiff.
Tatsächlich übertrifft der geplante Urlaub meine Kindheitsträume, denn
ich werde tatsächlich als Trainee (aktiv mitwirkender Passagier) auf einem
Klipper über den großen Teich segeln.
Schon als Bub habe ich von den schnellen Klippern geschwärmt, wobei ich
doch schon damals wusste, dass es diese prachtvollen Schiffe aus der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts schon lange nicht mehr gibt - von der Cutty
Sark, die als Museumsschiff im Trockendock von Greenwich/London liegt,
einmal abgesehen. Damals waren diese Schnellsegler mit ihren großen Segelflächen
und ihren scharf geschnittenen Steven vor den schlanken Rümpfen auf langen
Strecken allen anderen Segelschiffen, aber auch den Dampfern, an Geschwindigkeit
überlegen. Berühmt waren vor allem die besonders schnellen amerikanischen
Klipper, u. a. die in Boston erbaute Flying Cloud oder die britischen
Klipper wie Ariel und Teaping. Aber auch die Niederländer
bauten damals solche Schnellsegler. Und eben diese haben glücklicherweise
im Jahr 2000 wieder zwei klassisch gestylte, aber modern konstruierte
Klipper in Dienst gestellt: für die brasilianische Marine die weiße Cisne
Branco und unter der eigenen Flagge die klassisch schwarz gehaltene
Stad Amsterdam. Und somit wird möglich, was ich mir als Kind
nicht hatte vorstellen können: das Segeln auf einem echten Klipper!
Schon bald nach meiner Ankunft in Boston bei schönem und warmem Wetter
bekomme ich vom Sitz des Hotelshuttlebusses die Masten "meines"
Schiffes kurz zu sehen. Als ich Abends durch die Stadt schlendere und
den Hafen ansteuere, ist die Stad Amsterdam aber wieder verschwunden.
Schade, aber ich kann ohnehin erst Sonntagabend einchecken.
Sa, 11. April: Das Wochenende ist
plötzlich kalt und verregnet. Da ich die Stadt schon von einem früheren
Aufenthalt her kenne, miete ich ein Auto und fahre ca. 70 km südwärts
nach Fall River, denn dort gibt es für mich als Schiffsliebhaber einige
maritime Leckerbissen: Aus der Zeit des 2. Weltkrieges liegen dort drei
amerikanische Kriegsschiffe: ein Schlachtschiff, ein Zerstörer und ein
U-Boot. Außerdem liegt dort auch noch eine DDR-Korvette russischer Bauart.
Das Schlachtschiff, die USS Massachusetts, ist so groß, dass
man dort, auf den vielen Decks, einige Stunden herumirren kann. Bewaffnet
ist das Monstrum mit neun 40 cm Kanonen, zwanzig 12,5 cm Kanonen und ca.
80 Fla-Waffen.
Auf dem Rückweg fahre ich der Küste entlang nach Plymouth. Dort liegt
der Nachbau der berühmten Mayflower. Diese Galeone brachte 1620
die sogenannten Pilgerväter und damit die ersten englischen Auswanderer
in die neue Welt. Bei größten Entbehrungen und entsetzlicher Enge mussten
die Leute auf dieser kleinen und langsamen Nussschale ausharren. Die Überquerung
des Nordatlantiks hat sicherlich Monate gedauert. Ich frage mich, ob ich
mir das heute noch antun würde? Eher nicht!
So, 12. April: Heute ist es zwar wieder sonnig aber
dafür winterlich kalt. Nachdem ich ein schönes Stadtviertel Bostons erkundet
habe, mache ich mich auf den Weg zur USS Constitution. Diese
Fregatte wurde 1797 von der US Navy in Dienst gestellt - und in Dienst
steht sie heute noch. Zu Fuß unterwegs sollte ich eigentlich bereits jetzt,
die bis zu 60 m hohen Masten sehen können, kann sie aber nirgends entdecken.
Stattdessen finde ich die abgelegenen Rampen der "Ducks". Sie
dienen dem Ein- und Ausfahren zwischen Land und Wasser. Die "Ducks"
sind dreiachsige Amphibientrucks aus dem 2. Weltkrieg. Auf diesen urigen
Fahrzeugen lassen sich in Boston Stadtrundfahrten machen - Wasserwege
inklusive.
Als ich bei der "Old Ironsides" - so nennt man die USS
Constitution, den Stolz der amerikanischen Navy, ankomme, erkenne
ich, warum sie aus der Ferne nicht erkennbar war: Sie wird zum x-ten Mal
restauriert. Bis auf die Hauptmasten fehlt das ganze Rigg. Trotzdem schwimmt
sie immer noch auf ihrem originalen Kiel und kann auch jetzt besichtigt
werden.
Ich sehe mir auch das Museum und den Fletcherzerstörer an. Dieser Typ
diente in den Nachkriegsjahren auch der deutschen Bundesmarine.
Auf dem Rückweg nutze ich das Wassershuttle. Endstation ist zu meiner
Freude die Roweswharf; und genau dort liegt auch die Stad Amsterdam.
Abends checke ich dort ein und staune über den geräumigen Salon und die
komfortable Kabine, die ich mit einem ruhigen und freundlichen Holländer
teile. Die zwei oberen Kojen bleiben ungenutzt und so haben wir reichlich
Platz für unser Gepäck. Wir zwei haben ein eigenes Bad mit Dusche - kein
Vergleich mit der Mayflower! Bei voller Belegung der Gästekabinen
könnten 54 Gäste an Bord der Stad Amsterdam sein.
Martin, der Hotelmanager, heißt uns freundlich Willkommen. Insgesamt sind
wir nur neun Mitsegler (3 Amerikaner und 6 Europäer) sowie 25 Mann internationaler
Stammbesatzung, wobei mindestens ein Drittel weiblich ist. Die Bordsprache
ist Englisch.
Mo, 13. April: Gegen Mittag verholt die Stad Amsterdam
bei schönstem Wetter zum Tanken. Danach geleitet uns der Lotse durch die
Riffe und Engstellen, wo das Aus- und Einlaufen großer Segelschiffe, zu
Zeiten wo es noch keine Antriebsmotoren gab, sicher nicht ganz ungefährlich
war. Schon kurz nachdem uns der Lotse verlässt, werden bei westlichem
Wind die ersten Segel gesetzt.
Um 8 Uhr Abends beginnt meine erste Wache. Die Windstärke scheint kein
festes Konzept zu haben, d. h. Segel bergen, Segel setzen, und weil es
bei über 200 Tampen so lehrreich war - wieder bergen. Die Maschine wird
wieder angeworfen und mir schwant Schlimmes: Wieder ein Törn der gedieselt
wird? Zu oft während der letzten Jahre hat uns der Wind im Stich gelassen!
Di, 14. April: Ein schöner Morgen, aber die Maschine
läuft immer noch, wenn auch erstaunlich leise und unauffällig. Immer wieder
springen in gewisser Distanz kleine Delfine durch die Wellen. Zu meinem
Wachkameraden, einem Engländer, sage ich: "Ich hoffe, dass ich auf
diesem Törn wenigstens einen Wal zu sehen bekomme!" Nick, der schon
viele Wale gesehen hat, erwidert: "Was? Du erwartest nur einen einzigen
Wal?"
Nur 2 Minuten später höre ich hinter meinem Rücken ein pustendes Geräusch.
Es ist genau das, was ich vermute: Der Blas eines Wales. Ich drehe mich
um und sehe in weniger als 20 m Entfernung einen kleinen Wal. Die Freude
ist natürlich groß.
Anschließend ist eine Kletterstunde angesagt. In unserer Wache sind wir
drei Trainees. Unter Aufsicht entern wir den Kreuzmast hoch und steigen
auf die Rah des Kreuzsegels. Zunächst erfordert es wieder eine gewisse
Selbstüberwindung, aber bald wird es mir wieder leichter fallen, das weiß
ich aus meiner Erfahrung, denn ich bin schon auf acht anderen Windjammern
gefahren.
Abends, während ich als Ausguck auf die schwarze See blicke, sehe ich
weiße Gischtstreifen, die wie Torpedos immer wieder direkt auf den Bug
zurasen. Delfine!
Mi, 15. April: Der Antritt morgens zur 8/12er Wache
erfordert Regenkleidung. Mit dem Schönwetter von gestern ist es vorbei.
Dafür kommt ein guter Wind auf. Der zunehmenden Windstärke entsprechend
werden Segel gesetzt.
Anschließend hat man sich das gute Mittagessen wirklich verdient, wobei
aber das Essenfassen und das Speisen aufgrund der Krängung nicht einfach
ist.
Alles andere als einfach, ist Abends zum Antritt der Wache auch das Ankleiden
bei zunehmender Krängung und stärker werdendem Seegang. Mehrere Schichten
an Kleidung und das Anlegen des Gurtzeugs machen es nicht leichter. Bei
halbem Wind aus ONO, mittlerweile mit 40 kn, d.h. Windstärke 9, erreicht
der Klipper trotz der wenigen gesetzten Segel 11 Knoten.
Do, 16. April: Beim Wecken zum morgendlichen Wachantritt
ist Wind, Regen und Kälte angesagt. Erneut stelle ich mich den Tücken
beim Frühstücken und beim Anziehen der Wetterkleidung. Mein Magen ist,
was die Schiffsbewegungen betrifft, noch in der Gewöhnungsphase, macht
mir aber keine Probleme.
Zu den Aufgaben der Wache gehört u. a. der traditionelle Ausguck. Obwohl
sich das Schiff unter zwei Stag- und drei Rahsegeln wacker und nahezu
trocken, durch die meist um die 5 m hohen Wogen kämpft, ist es auf der
Back längst zu gefährlich geworden. Nun stehe ich, den Südwester auf dem
Kopf, auf dem Bootsdeck und halte Ausschau. Ich genieße den Anblick, ganz
besonders den, der sich bis zu 8 m auftürmenden Wellen. Welch ein Gegensatz
zum Leichtwindsegeln! Ich stelle aber fest, dass der Seegang sehr viel
angenehmer ist, als bei einer vergleichbaren Wellenhöhe auf der Nord-
oder Ostsee. Die Frequenzen der Roll- und Stampfbewegungen sind viel niedriger
und deshalb angenehmer und so klagen bisher nur drei Leute über Seekrankheit.
Fr, 17. April: Als ich zum Wachwechsel geweckt werde,
stelle ich fest, dass ich nicht mehr mit einem Drittel meines Gewichts
an der Kabinenwand klebe, sondern wieder wie ein normaler Mensch in der
Koje liege. Wellenhöhe und Windstärke haben nachgelassen und dafür wird
es langsam wärmer. Der derzeitige Nordwind erlaubt uns direkten Kurs auf
unser Ziel in Portugal. Nach und nach setzen wir weitere Segel und erreichen
9 kn über Grund, wobei das errechnete Soll für diesen Törn bei 7 kn liegt.
Nach dem Mittagessen, bei dem es schmackhafte Pizzastücke gibt, kann ich
endlich wieder ohne Unfallgefahr und artistische Glanzleistungen die geräumige
Dusche genießen. Abends wird ein Film über die Viermastbark Peking aus
den 30er Jahren gezeigt und ich erkenne respektvoll, was wirkliches Schwerwettersegeln
bedeutet.
Sa, 18. April: Alle 15 Rahsegel sind gesetzt. Wind aus
West, Seegang mäßig. Platt vor dem Wind rast die Stad Amsterdam über den
Ozean. Man freut sich über 13 kn Fahrt. Zunächst! Tatsächlich machen wir
während unserer Wache 46 Seemeilen. Gegen Mittag sind alle Blicke der
Leute, auf und hinter der Brücke, auf das digitale Log gerichtet. 16 kn
Fahrt! Ein Aufjuchzen geht durch die kleine Schar. Kurz darauf sind es
17 kn. Und dann erreicht der Klipper mit 18 kn seine Schallmauer. Die
vorbeirauschende Gischt wird vom Jubel übertönt. Achteraus perlt das Kielwasser
in der türkisfarbenen See. Was soll man da noch sagen?
So, 19. April: Kein Sturm, kein brauchbarer Wind. Nur
die Stagsegel sind gesetzt - sie stabilisieren die Rollbewegungen des
unter Maschine laufenden Schiffes. Heutzutage gelten eben auch für Segelschiffe
feste Terminpläne und so kann eine Flaute nicht einfach bis zu ihrem Ende
abgewartet werden.
Am Nachmittag ist für uns Trainees ein "Ausflug" auf den langen
Klüverbaum angesagt. Ich bin sofort dabei. Klippertypisch wird der Bugspriet
von einem langen Klüverbaum überragt und traditionsgemäß trägt die Stad
Amsterdam kein Klüvernetz vor dem Bug. Man steht auf der Vertagung
und natürlich gibt es eine Sicherheitsleine, aber es ist doch ein neues
Gefühl, nur die See unter den Füßen zu haben. Nun stehe ich in 10 m Höhe
16 m vor dem Bug. Ein fantastischer Anblick, wenn man die Bugwelle weit
unter sich sieht und oben die ganze Pracht an Segeln am Fockmast bestaunen
kann.
Mo, 20. April: Nun sind wir seit einer Woche auf See.
Über 1.000 Seemeilen haben wir, meist unter Segeln, gemeistert, d. h.
mehr als ein Drittel der gesamten Distanz, wobei wir all die Zeit, so
gut wie keine anderen Schiffe gesichtet haben. Ganz entgegen den Wetterberechnungen
bleibt uns auch heute der Wind, diesmal aus WSW gut gesinnt. Die 2. Zeitumstellung
bringt uns Europa näher.
Zwei durch den Ausguck gesichtete Objekte erfordern Kursänderungen. Jeder
in Seenot Geratene weiß ein gutes Auge zu schätzen, aber letztendlich
handelte es sich nur um einen großen Styroporklotz und dann um Bojen eines
Fischernetzes.
© Stad Amsterdam
Di, 21. April: Während ich auf der Back meine Pflicht
als Ausguck erfülle, sichte ich Steuerbord querab ein schwarzes Dreieck.
Zunächst denke ich an den weißen Hai. Ob der wirklich so eine große Flosse
hat? Oder ist es eine schwarze Boje? Mir bleibt nicht viel Zeit zum Überlegen
und so melde ich die Sichtung mittels Walkie-Talkie an die Brücke. Dort,
auf der Poop, ist gerade die übliche Kaffee- und Teepause und so sehen
andere Besatzungsmitglieder den Blas eines Wales. Der Größe der Rückenflosse
nach kann es sich eigentlich nur um einen Orca (Killerwal) handeln.
Am Abend erklärt uns einer der jungen Offiziere - der einzige Deutsche
außer mir an Bord - mittels einer Präsentation die Grundzüge der Astronavigation.
Mi, 22. April: Der Kapitän, ein überaus freundlicher
und gemütlicher Schweizer, sieht vor, die Azoren nördlich in sicherem
Abstand zu passieren. Die Winde aber machen es den Rudergängern nicht
leicht mit nur 70° am Wind, den erforderlichen Kurs zu halten.
Die Herausforderung für uns Trainees stellt sich in Bezug auf die vielen
Tampen laufenden Gutes. Es gibt über 200 Belegnägel! Wir werden nach den
Maßnahmen gefragt, die erforderlich sind, um ein Rahsegel zu setzen. Die
Angelegenheit ist komplexer als man denkt, aber es zeigt sich, dass wir
Fortschritte gemacht haben.
Mittags wird querab ein Tanker gesichtet, der scheinbar den gleichen Kurs
und die gleiche Geschwindigkeit hat. Nur unter Mühen gelingt es diesem,
unseren Klipper zu überholen. Selbst in der Mitte des Atlantiks ist man
nicht wirklich allein. Das Rennen haben wir nicht geschafft aber dafür
etwas anderes: nämlich die 1. Hälfte der Etappe, d. h. über 1.500 nautische
Meilen.
Do, 23. April: Während meiner Abendwache genieße ich
die Passage der Azoreninseln Corvo und Flores bei Dunkelheit und 14 kn
Fahrt. Die Lichter der Inseln und des Leuchtturmes zeigen uns zum ersten
Mal seit zehn Tagen, dass wir wieder Land in der Nähe haben. Nebenbei
bemerkt: von Boston zu den Azoren in dieser kurzen Zeit? Ist das nichts?
Fr, 24. April: Kappe über Bord! Einer meiner Wachkameraden
verlor bei seiner Mithilfe zum Setzen der Großroyal seine Schirmmütze,
während der Andere genau in diesem Moment seine Kamera auslöst. Dieses
Bild sorgte dann Abends, während der Kapitänspräsentation für kräftige
Lacher. Stunden später lassen wir Terceira hinter uns, die letzte Azoreninsel
auf unserem Kurs. Die Stad Amsterdam läuft wieder mit 14 kn und
so verschwinden bald die letzten Lichter hinter ihrem Heck.
Sa, 25. April: Dieses Mal bin ich nicht aus purer Vergnügungslust
im Rigg. Zu viert binden wir das zuvor eingeholte Großbramsegel ein. Zwar
ist das Arbeiten in 35 m Höhe noch längst keine Routine, aber es vermittelt
ein tolles Gefühl "da oben" mitgewirkt zu haben. Ganz zu schweigen
von dem großartigen Blick nach unten. Man sieht, wie die türkisfarbene
See von weißer Gischt aufgewirbelt wird, welche mit Tempo an der Bordwand
vorbeirauscht. Ein tolles Erlebnis!
So, 26. April: Gemächlich segeln wir mit reduzierter
Segelfläche auf Portugal zu. Es eilt nicht! Genau genommen sind wir fast
eine Woche zu früh dran. Nachmittags entern der Kapitän höchstpersönlich
mit der jungen Backschafterin und dem Maschinisten am Großmast auf und
setzen das Royal, das zweithöchste Segel. Ein ungewöhnliches Trio, doch
allen Dreien gilt mein Respekt.
Mo, 27. April: Regen oder kein Regen? Ich weiß nicht,
was ich anziehen soll. Letztendlich ziehe ich mir meine Regenhose wieder
aus und nun beginnt es, zu regnen. Ich ziehe sie wieder an und der Regen
hört auf.
Alsbald meldet der Ausguck einen Wal. Ich halte gebannt Ausschau und sehe
einen voluminösen Blas. Auf der Brücke liegt ein Handbuch zur Identifikation
von Walen. Demnach muss es ein Finnwal gewesen sein.
Endlich kommt die Sonne durch. Zu viert entern wir den Kreuzmast auf,
um das Bramsegel zu setzen. Nachdem wir die Zeisinge gelöst haben, bleibt
noch genügend Zeit zum Fotografieren. Die Segel leuchten in der Sonne.
Tief unter mir schmeichelt die See in kräftigem Türkis. Fantastisch! Es
ist eine der letzten Gelegenheiten für mich, die Höhe zu genießen. Mittlerweile
fällt mir das Klettern auch sehr viel leichter, als anfangs. Nun sind
es auch schon zwei Wochen, seitdem wir auf See sind.
Di, 28. April: Der Wind lässt langsam nach. Je näher
wir der portugiesischen Küste kommen, desto wärmer wird es und umso mehr
Wale zeigen sich. Einen besonders Großen sichte ich selber in gerademal
20 m Entfernung.
Zur Zelebration einer Atlantiküberquerung zählt auf der Stad Amsterdam
traditionell das Pfannkuchenessen. Diese werden dieses Mal nicht von Andreas,
dem Smut, sondern von Cookie, dem Bootsmann zubereitet.
Der Kapitän lässt am Nachmittag alle Mann an Deck befehlen. Das Ziel ist
nicht mehr fern und es bleibt genügend Zeit die Crew mitsamt uns Gästen
Segelmanöver trainieren zu lassen. Es werden drei Halsen, zwei Wenden
und ein schnelles Beidrehen gefahren. Während all dieser Manöver scheint
das Chaos an Deck zu herrschen. Überall stehen die Leute bereit, an allen
Ecken werden Kommandos gerufen: Hier dichtholen, dort fieren, belegen,
losmachen usw. Das Deck ist übersät mit einem Wust an Tauwerk. Nichtsdestoweniger
gibt es zwischen den Manövern Kaffee, Tee und Schokoladenkuchen. Nach
vollbrachten Taten und dem Klarieren der Decks - der Kapitän war mit dem
Ablauf der Manöver durchaus zufrieden - hält der Klipper nun einen südlichen
Kurs ein, um sich später korrekt in die Verkehrstrennungszonen vor der
portugiesischen Küste einordnen zu können. Dabei passiert uns eine portugiesische
Lockheed P-3 Orion, ein viermotoriger Seeaufklärer und U-Bootjäger im
Tiefstflug. Mit Sicherheit haben die von unserem herrlichen Schiff unter
Segeln eine tolle Luftaufnahme geschossen.
Mi, 29. April: Die Stad Amsterdam schleicht
bei nahezu voller Besegelung mit nur 3-4 kn in südöstlicher Richtung inmitten
der Verkehrstrennungszone. Jetzt könnten noch als Höhepunkt des Törns
acht oder gar zehn Leesegel gesetzt werden, was den Klipper mit maximal
35 Segeln noch augenfälliger zur Königin der Meere krönen würde. Der Aufwand
dazu ist aber enorm und lohnt nur im stabilen Passatwind. Unser Wind taugt
dafür nicht, denn bald schläft er gänzlich ein. Das war es dann mit dem
Segeln! Ab jetzt läuft nur noch die Maschine.
Im Gegensatz zum Wind, bleiben uns die Wale treu: hier einer steuerbords,
dort einer backbords - gar nicht weit entfernt. Der lange Walrücken erstreckt
sich über die ganze Breite der Optik meines Fernglases: ein Finnwal -
gut 20 m lang. Damit hatte ich nun doch nicht gerechnet, dass ich während
des ganzen Törns ein Dutzend Wale zu sehen bekomme.
Am Nachmittag steht Kurs NO an. Die Algarve, die Südküste Portugals,
kommt immer näher. Abends gehen wir in der Nähe der Hafeneinfahrt von
Portimão vor Anker.
Do, 30. April: Um acht Uhr morgens geht die Stad
Amsterdam ankerauf und wird vom Lotsen in den kleinen und gemütlichen
Hafen von Portimão geleitet. Zum Anlass des Geburtstages der niederländischen
Königin wird an der Gaffel die große Nationale gesetzt. Wir Gäste machen
uns auf den Weg ins Zentrum der Stadt. Sie ist nicht aufregend, bietet
aber genügend gemütliche Cafés und Einkehrmöglichkeiten. Als wir später
an Bord zurückkehren, weht nur noch die kleine Nationalflagge; jetzt jedoch
auf Halbmast. Wir erfahren von dem Versuch eines Mannes, mit dem Auto
in das Fahrzeug der königlichen Familie zu rasen. Es gab Tote und Verletzte.
Ich bemerke, dass uns der Alltag mit all seinen Sorgen und Nöten wieder
einfängt. All dies war mir während der letzten Wochen in Vergessenheit
geraten, obwohl auch die Seefahrt alles andere als gefahrlos ist. Speziell
auf einem Segelschiff gibt es doch allerhand Unfallrisiken, dessen man
sich bei Schritt und Tritt und bei der Mitarbeit immer bewusst sein sollte.
Abends wird dann auf Deck noch gegrillt. Auf See wäre dies kaum möglich
gewesen.
Fr, 1. Mai: Noch ein ganzer Tag steht uns für Portimão
zur Verfügung. Sowohl auf der Klosterruine, als auch auf allen Schornsteinen
der ehemaligen Konservenfabrik, welche jetzt ein Museum beinhaltet, brüten
Störche in ihren Nestern. Alles ist hier geruhsam, sowohl der Verkehr
als auch der Service in den Cafés und Restaurants. Scheinbar ist die Welt
hier im Süden Portugals noch ziemlich in Ordnung.
Morgen werden wir Gäste im Kleinbus nach Faro gebracht und am Sonntag
werde ich zurück nach München fliegen.
Fazit: Dieser Törn hat meine Erwartungen noch übertroffen. Wind und Wetter
waren uns gut gesinnt und boten reichlich Abwechslung. Das Schiff in seiner
klassischen Eleganz bietet moderne Technik und hohen Komfort. Dazu ist
es äußerst schnell und seegängig. Die Atmosphäre an Bord war exzellent
und das galt auch für das Essen, welches zwar keiner bestimmten Nation
zuzuordnen war, aber dafür allen geschmeckt hat. Die Crew war überaus
freundlich und zuvorkommend. Sie imponierte mir mit ihrem Fleiß und ihrer
hohen Motivation.
Erwin Welker
Die technischen Daten der Stad Amsterdam:
Baujahr: 1997-2000
Länge über alles: 76,0 m
Länge Deck: 60,0 m
Breite: 10,5 m
Tiefgang: 4,8 m
Verdrängung: 1.038 t
Bauweise: Stahl
Segelfläche: 2.200 qm
Maschine: 749 kW
Kabinenanzahl: 14