„Mit der SEDOV von Rostock nach Portsmouth"
Ein
Reisebericht von Manfred Hoppe aus Döbern
(Seite 2 von 4)
15.
August 2001
Was
sagen meine Tagebuchnotizen zu diesem Tag? Kurs weiter SSW, direkt nach Southend.
Wir fahren weiter mit Motor, aber um 9:00 Uhr heißt es Zwischenstagsegel
und Klüver setzen und die gelaschten Rahen nur umbrassen. So kann das Schiff
mit Stagsegeln höher an den Wind gehen und den Motor unterstützen. Es ist
neblig, Windstärke 4 schätze ich,
wir machen 10 Knoten über Grund sagt der Speedanzeiger am Ruderstand. Im Leninraum
unten wird Kaffee gebraut oder Tee gekocht. Es ist gemütlich warm. Ich spiele
Shanties im Kassettendeck. Wir klönen und lassen es uns wohl sein. Da laufen
unsere Fernsehleute herein, die schon richtig zu uns gehören und filmen Meinungen
zur Stimmungslage der Leute. Auf ihren Wunsch organisiere ich durch offizielles
Heranzitieren von Schenja (John) und Alexander Konstatinowitsch durch Dimitri
Rajew (Dima) per Telefon (was mir Leid tut in dieser Weise) eine Knotenvorführschau
an Deck nur fürs Fernsehen. Wie sich beide Akteure bei diesem Soforteinsatz
wohl fühlen, nach dem sie mich gestern haben sitzen lassen? Ich erkläre ihnen
russisch leise die Lage und sie machen mit. „John“ übersetzt, was Alexander
Konstatinowitsch erklärt, während der demonstriert. Zum Üben kommt keiner, eben
eine reine TV-Show. Es sind auch nicht genug Tampen da. Vielleicht später
und dabei bleibt es. Zu Mittag kommt doch die Sonne durch. Herrlich!
Das norwegische Ölfeld
ist lange achteraus und die offene Nordsee erreicht. Kaum Schiffsverkehr in
dieser Ecke. Die Schratsegel ziehen gut und ich organisiere eine Brückenführung
für alle, die auch mit Interesse angenommen wird. Die Brückenkadetten bekommen
wegen der vielen englischen Fragen unserer Trainees richtig rote Ohren. Sie
antworten englisch exakt, wie man allgemein bewundernd feststellt.
Ute hat am späten
Nachmittag die Schiffsführung zu etwas Geheimen becirct. Als das Klingelsignal
ertönt wissen wir: „Feuer im Schiff!“ Aus der Segellast vor der Back steigt
dicker Qualm! Im Rettungsanzug mit Schutzmaske begibt sich ein Schlauchführer
runter zum Brandherd, mit Rückenatemgerät ausgerüstet. Der imitierte Brandherd
wird gelöscht und dann an Deck als alter Eimer mit Persenningresten enttarnt.
Entwarnung! Zuschauer gab es genug. Was wäre wohl los, im Ernstfall? Dann
zu 19:30 Uhr, gleich nach dem Essen, Segelalarm. Alles, bis auf die Royals
(Bombramsegel auf russisch) wird gesetzt. Mit Eifer sind alle Trainees dabei.
Die Kadetten entern flink wie die Ameisen auf und legen auf die Fußpferde
aus. Von uns ist niemand dabei. Also Zeisinge los und das Tuch von der Rah
gestoßen, Schoten anholen, Geitaue und Gordinge lockern, noch etwas Nachbrassen,
fertig!
210° liegen als Kurs an. Ich hole mir Kurs und Position aus dem Kartenhaus
und gebe es bekannt. Abends soll noch ein Kadettenkonzert im großen Kultursaal
sein und es ist tatsächlich so. Sie singen zur Gitarre, etwa 10 Leute, alle
Strophen ihrer Lieder. Danach improvisiert einer lange gekonnt am Klavier.
Es hört sich nach Rachmaninow an. Ich werde ihn nachher fragen, denke ich.
Man kommt ins Träumen beim Zuhören und Genießen. Ein russischer Seekadett,
auf russischem Segelschiff mit russischen Improvisationen, ein schöner Abendausklang!
Der Beifall ist reichlich, der Künstler bescheiden. Still gehen alle nach
oben. Draußen hatten unsere Romantiker noch einen kontrastreichen Sonnenuntergang.
Was will man noch? Etwas Plausch noch von Koje zu Koje nach dem Duschen und
weg zu Morpheus!
16.
August 2001
Was ist los? Mitten in
der Nacht scheint uns eine kurze Durchsage etwas monoton mitzuteilen! Ich
weiß, es kann nur Segelmanöver sein. Die meisten ignorieren diese sonore Ankündigung,
als tatsächlich nach den gesagten 10 Minuten Vorbereitungszeit die Glocken
schrillen. Es ist 3:00 Uhr morgens. Also vorbildlich und schnellstens in die
Arbeitsschuhe, Handschuhe schnappen und zum Fockmast, meinem Platz, eilen.
Die Fernsehleute sind schon da, müssen etwas gerochen haben. Sie halten voll
drauf mit ihrer Kameralampe, während ich mit den anderen fürchterlich an den
handgelenkdicken Brassen reiße. Die Untersegel schlagen wie wild und werden
nur aufgegeit usw. Und dabei soll man noch ins Mikro sprechen. Aber Spaß muss
sein und mitgemacht. Alle schleichen nach dem Manöver wieder ihrer Koje zu.
Um 8:00 Uhr ist erst Wecken. Sicher schenkt uns die Brücke
eine Stunde Schlaf wegen des frühen Manövers, denken einige. Denkste!
Die Uhren müssen um eine Stunde zurück gestellt werden. Wir haben ab jetzt
Greenwich-Zeit, nähern wir uns doch England mit dem Null-Meridian! Es ist
nasskaltes Wetter mit Zwischenaufklaren und etwas Sonne, Wind ca. 4. Zum Nachfrühstück
beim Kaffee im Leninraum klönen wir über unser „Zwischenresümee“ zur bisherigen
Reise. Überwiegend ordentliche Meinungen, leise Kritiken, gut gemeinte Vorschläge
kommen. Ich notiere alles, was gesagt wird.
Einer hat die Idee, den Kapitän in den Club einzuladen vor Ende der Reise
und einen gemütlichen Abend anzuschließen. Die Kosten wollen wir gemeinsam
tragen. Ob das klappt und Mischinjow wirklich aus seinem Brückenreich
kommt, der russische Bär, meist so weit weg? Ich bin skeptisch. Wir 2 Organisatoren
gehen also auf die Brücke zum Anmelden beim Kapitän. Er schläft, vertröstet
man uns. Mir wird es zu bunt, ich gehe selbst in den heiligen Bereich mit
Joachim, der gestochen Englisch sprechen kann. Ich klopfe entschlossen einfach
an: “Come in“ – wir stehen im Salon, der mir nicht fremd ist. Joachim lädt
den Kapitän höflich und förmlich ein. Seine Zusage kommt prompt zu einem kurzen
Besuch der Trainees am Abend, 21:00 Uhr! Yes, geschafft! Auf Wunsch einiger
lasse ich Oleg bitten mit dem 1. Elektriker den Service-Shop zu öffnen um
18:00 Uhr, weil alle der Konsumtrieb packt. Eine Liste mit den Leuten, die
ein Reisezertifikat zu 10,00 DM wollen, wird erstellt und die Nachzügler auch
noch nachgereicht an Sergei Mischinjow. Er wird sich darum kümmern, verspricht
er. Das hätten wir auch! Dazwischen bietet Ute eine Videorepräsentation ihres
Rohmaterials an, wenn es gelingt, die Kadetten von ihren allabendlichen Videofilmen
im Kultursaal weg zu überzeugen! Nur dieser Apparat dort ist kompatibel zur
Fernsehtechnik. Mir schwirrt der Kopf. Ach so, der Leninraum ist liederlich,
müsste aufgeräumt werden für heute Abend. Tatsächlich finden sich wie selbstverständlich
genügend Helfer urplötzlich, die aufräumen, Müll entfernen, abwaschen, fegen
und wischen. Erstaunlich! Eben eine gute Truppe, die sich hier rein zufällig
zu diesem Törn angefunden hat. Wir verstehen uns gut, helfen einander in Eintracht.
Sergei Mischinjow soll 3 Wodkaflaschen besorgen. Er macht besorgte Augen!
Was ist los? Er führt mich an die Getränkevorräte zum Kühlschrank. Hier lagert
Wodka in Büchsen, eiskalt. Dass es so etwas gibt? Ein Gläser- und Plastikbechersammelsurium
kommt zu Tage. Es ist bald 21:00 Uhr, als Dima kommt und den Kapitän quasi
entschuldigt mit viel Arbeit, Faxe und Telex aus England. Schön, also nicht,
fangen wir allein an.
Jetzt Wodka ausschenken und gerade will ich einen frechen Trinkspruch zitieren,
als Mischinjow plötzlich wie der Teufel aus der Kiste mitten im Raum steht.
„Good evening“, sagt er mit seiner tiefen Stimme. Sofort wird er mit Platz
und einem ordentlichen Glas versorgt. Joachim erhebt sich zu einem englischen
Trinkspruch. Es ist schön, wir plauschen mit dem Kapitän und dreimal hält
er mit. Nach ca. 25 Minuten entschuldigt er sich höflich zur Arbeit auf die
Brücke. Blitzschnell hatte ich vorher die 4 Shanty-Musikkassetten mit den
Text- und Notenkopien geholt, die eigentlich hier für den Leninraum gedacht
waren, für immer. Ich stehe auf und schenke sie ihm vor allen, erkläre kurz
dazu und siehe da, er freut sich ganz gerührt und sagt, dass er solche Musik
liebe. Ich lege noch eine Kopie der alten „Kommodore Johnson“ dazu. Diese
Grafik hatte ich von Thoralf. Der Abend ist gelaufen, jetzt wird allgemein
zum scharfen Saufen übergegangen, wie ich erwartet hatte. Ich politisiere
mit einem Freund aus dem Ruhrgebiet deutsch-deutsche Probleme. Der Wodka aus
den Büchsen tut seine Wirkung und als man sich ob der Lautstärke kaum noch
unterhalten kann, gehe ich schlafen und falle kaum auf. Es war Zeit, denn
dauernd bekam ich etwas spendiert, wer soll das aushalten? Schade, die Bootsmänner
hatten wir auch eingeladen. Alle ließen sich entschuldigen. Ob es wohl am
Kapitän lag? Wer wird das je ergründen? Na, Morgen wird es wohl diverse Nachwehen
bei einigen geben. Jedenfalls höre ich Nachts nichts mehr. Wie schön!
17. August
2001
Höhe Harwich haben wir
erreicht, der starke Fährverkehr zeigt es. Eine Doppelrumpfschnellfähre braust
mit ca. 50 km/h vorbei. Dann kommt die Ansteuerung Southend in Sicht, Unionjack
mit Lotsenflagge gehen hoch, weil eben der Lotse mit einem schnellen Boot
kam und behende an Bord jumpte. Schönes klares Wetter ist Heute. Beim Essen
wird der gestrige Abend ausgiebig ausgewertet. Es muss für viele spät geworden
sein. Flachsereien fliegen hin und her, also gute Stimmung, trotz einiger
Nachwehen bei Manchen. Um 14:00 Uhr sollen wir festmachen, am längsten Pier
der Welt mit 2,5 km, eine Stegpier in T-Form. Wer darf, sonnt sich bei diesem
Wetter wo Platz ist. Auch die Schiffsdamen erfreuen dabei unser Auge. Ich
spiele Mundharmonika auf dem Heckspill und schon ist das Fernsehteam da mit
seinen Abschlussdrehszenen, Meinungen usw. Ich versuche nach Hause zu telefonieren
und endlich klappt es mit der Netzsuche. 14:15 Uhr kommt ein starker Kopfschlepper.
Die Offiziere erscheinen in Gala auf der Brücke. Alexander Konstantinowitsch
erscheint wieder in Weiß, das heißt, die Lotsenrevierfahrt beginnt. Der lange
Anleger ragt weit in die Themsemündung wegen des großen Flachwasserwatts.
Die Stadt liegt ganz hinten. Wir werden gewendet und an dieses liegende Riesen-T
gedrückt. Menschen säumen die Pier, winken, ein russisches Begrüßungstransparent
prangt für uns am Gebäude, das gleichzeitig der Bahnhof für einen niedrigen
Stegshuttlezug ist, der als Stadtzubringer dient. Erst
kurz vor dem Anlegen werden die Decksarbeiten eingestellt. 4 Tage lang wurde
entrostet, gemalt, gespleißt und Ewgeni kalfaterte mit Kadetten viele
Deckritzen neu. Mit abenteuerlichen Apparaten wurde Teermasse geschmolzen,
vorher alles Werk niedergeklopft und mit Teer ausgegossen, dann geschabt und
geschliffen. Sogar in voller Fahrt mussten Kadetten von Bootsmannstühlen und
einem Arbeitsgummiboot aus die Außenwand streichen. Dies alles gilt wohl eher
Portsmouth als Southend, obwohl hier auch ein Stadtfest ist, zu dem die „SEDOV“
eingeladen wurde. Sonst hat die Stadt bei dieser Wattlage keinen Hafen, außer
diesem einen Anlegeplatz für Großschiffe. Alle Sportboote stecken zurzeit
trockengefallen im Schlick. Ein komischer Anblick.
30 Minuten nach dem Anlegen ist der Zoll fertig und wir können endlich die
Stadt erkunden. Da wir noch nicht wissen, dass der Zubringershuttlezug für
uns kostenlos ist, laufen wir in voller Sonne die 2,5 km lange Pier zum Flanierboulevard
der Stadt. Ein Uferrummel tobt, in der Stadt ist viel los. Mein 1. Guinnes
spendiert mir Joachim, weil ich noch kein Geld tauschen konnte, in einer urigen
Hintergassenkneipe, ein Pub für den kleinen Mann. Zum
Abendbrot um 19:00 Uhr sind wir mit dem Shuttle gefahren und finden an Bord
eine offizielle Decksparty unserer Offiziere mit Stadthonoratioren vor. Die
Damen in langen Roben werden Abends leicht beschwipst von unseren Kadetten
in Sonderuniform die steile Gangway hoch geleitet. Es ist immer noch Ebbe
mit ca. 3,5 m Tiedenhub, wie man am Pfahlbewuchs sehen kann. Mit dem Kameramann
des TV-Teams vereinbaren wir das Ansehen ihres gedrehten Videomaterials im
Kultursaal. Die dort sitzenden Kadetten sind erst nicht sehr begeistert, können
aber mit Hilfe des Wachoffiziers „überzeugt“ werden, uns den Fernseher zu
überlassen und bleiben auch dann da. Ich warte das Ende nicht ab, bin zu müde.
Vorher bitte ich noch den Kapitän um die gültige Crewliste. In 10 Minuten
bringt sie mir ein Kadett in das Kubrik an meine Koje. So schnell geht das!
Donnerwetter, muss ich einen Stein im Brett haben. Es ist wohl zu sehen gewesen,
dass ich mich sehr um die Trainees kümmerte. Dima hat sich ab und an auch
schon dankbar geäußert, weil ich ihm viel abnehme. Ich frage vorsichtig wegen
zusätzlicher Übernachtungen für 3-4 Tage in Portsmouth. Die prompte Antwort:
„40,00 DM pro Zusatznacht mit Essen, musst nur du nicht bezahlen, weil du
uns sehr hilfst." Hoffentlich ist Wowa auch dieser Meinung! Er ist für
Traineefinanzen zuständig.
18. August
2001
Es erwartet mich etwas
Schönes: Früh laufe ich dem Kapitän über den Weg, ich grüße, er spricht mich
englisch an und sagt mir, dass die Kadetten von der Stadt
in 2 Schüben mit je 2 Reisebussen eine Besichtigungstour nach London
gesponsort bekamen und ich da mitfahren kann. „Melde dich beim Natschalnik
und sage ihm, dass ich es erlaube.“ Donnerwetter, noch eine Anerkennung!
Um 9:00 Uhr soll’s losgehen,
knappe Sache, also runter, Fotozeug hoch und ohne große Vorbereitung mitfahren.
Sie nehmen Verpflegung und Trinken mit. Ich habe nichts mit. Egal, alle rein
in den Shuttle. Am Ende des Piers warten schon die Busse. Zuerst sehe ich
fragende Blicke der Kadetten, denn ich gehöre als Trainee eigentlich nicht
hierher. Die 3 Damen und einige Lehrer sind mit dabei. Um 10:30 Uhr sind wir
schon am Trafalgar Square beim ersten Stopp zur Besichtigung dieser riesigen
Stadt. Der Platz ist ein Riesenrummel an Menschen, eine grandiose architektonische
Kulisse dazu. Es ist bestes Touristenwetter und wir haben ausgiebig Zeit,
alles anzusehen und zu erlaufen. Nur bei den Abfahrtzeiten muss ich aufpassen.
Sie werden nur beiläufig vorn im Bus bekannt gemacht, natürlich in russisch.
Die Damen wollen es den Touristen und Kadetten nachtun und ein Foto zu Füßen
der riesigen Löwen am Nelson-Denkmal haben. Es ist aber niemand mehr zum Hochhelfen
da. Also stemme ich mich hoch und leiste Kavaliershilfe. Auch ein Foto für
mich fällt ab. Nächster Halt ist bei Westminster Abbey. Wo soll man nur zuerst
hinsehen, einfach umwerfend diese City. Zu Fuß geht es auf die „London Bridge“
zum Blick auf die Themseseite des „Houses of Parliament“. Big Ben schlägt
gerade 12:00 Uhr. Herrlich! Ich komme mit 2 unserer Lehrer in Kontakt. Foto
machen bitte soll ich, dann das übliche Woher und Wohin. Nach ausreichendem,
zügigen Laufen mit dem Bus weiter zur „Westminster Cathedral“ und weiter zum
„Albert Memorial“ neben der Royal „Albert-Hall“ in einem wunderschönen Park
gelegen. Das Monument prunkt in seinem Gold in der Sonne. Also Fotos machen
von allen Seiten und besonders noch von Einzelheiten. Auch ein Gang in den
Park ist noch drin. Überall liegen Menschen auf dem kurzen Rasen, aber nirgends
liegt Müll, eine herrliche Stille.
Jetzt durchfahren wir „Piccadilly Circus“ auf dem Weg zur „Tower
Bridge“. Dort laufen wir rüber bis zum Tower und bewundern das gepflegte Wahrzeichen
der Stadt, die Tower Bridge, auch von der anderen Seite. Der Kreuzer „Belfast“
liegt vor der Brücke, der im II. Weltkrieg das Schlachtschiff „Scharnhorst“
endgültig vernichtete. Da will ich später mal rauf. Plötzlich Halt in einer
Seitenstraße. Was ist los? Aha, die Kaltverpflegung wird ausgegeben. Man winkt
auch mich heran. War ich eingeplant? Also „Spazibo“ und mitgegessen, denn
Hunger ist da, noch etwas Trinken aufheben für später und weiter geht es.
Ich weiß nie, wohin es geht hinten im Bus. Überraschung: „Greenwich Park“
ist erreicht. Ich orientiere mich schnell an der Eingangskarte und kann so
Kadetten helfen, die „Cutty Sark“ zu finden, deren Masten aus der unteren
Stadt schwach links zu sehen waren für einen Moment. Eines meiner Traumziele
in London liegt greifbar nahe! Also zügig los, wir haben eine Stunde Zeit.
Da liegt sie, die „Cutty Sark“ in voller alter Schönheit und bei bestem Wetter.
6 Pfund Eintritt, oh je, keine Pfund mit! Plötzlich sehe ich Kadetten oben
an Deck des Schiffes in seinem Trockendock. Kurzes Verhandeln an der Kasse.
Wir haben alle Eintritt frei! Rein! Die Gallionsfigurensammlung ist das Schönste.
Das Bordleben ist gut nachgestaltet mit lebensgroßen Figuren. Sogar an einen
Kojenschnarcher (mit Ton) und an ein gackerndes Huhn ist gedacht worden. Reine
Geschmacksache ist das Ganze schon, mit den Figuren. Immer mehr Kadetten erobern
das Schiff und haben hergefunden. Merkwürdig,
alle haben Zeit und schlendern langsam, alles genau betrachtend um und durch
das Schiff. Woran das wohl liegt? Jetzt schnell im Trab quer durch den großen
Park zurück zum Bus, denn die Stunde ist um. Jetzt sehe ich den Grund. Unser
Busfahrer parkt nur um die Ecke am „Cutty
Sark Dock“, 150 m weit. Er war einsichtig und wollte uns mehr Zeit verschaffen.
Als ich um die Ecke gerannt komme, bremsen mich einige. „Langsam Brüderchen“
heißt es freundlich. Also noch mal zurück zum Schiff und den Film im Gallionsfigurenmuseum
im Unterdeck voll fotografiert. Eine Figur ist schöner als die andere. Dann
gegen Abend bei sehr lauer Luft starten wir auf einer malerischen Küstenstraße
nach Southend zu unserem Schiff nach Hause. Links und rechts der Avenue kann
man die meist zweistöckigen Zeilen der einfachen aber vielgestaltigen typischen
englischen Familienwohnhäuser sehen. Jedes hat einen kleinen Vorgarten anderer
Art, bullige Schornsteine und die englischen Schiebefenster, wegen des Windes.
Die Laternen gehen an. Wir sehen die riesige Schlange des SEDOV-Piers mit
dem Schiff ganz klein da vorn liegen. Es ist Flut, die Themse hat sich die
riesige Schlickfläche mit Hilfe des Meeres für 6 Stunden zurückgeholt. Die
letzten Busschläfer erwachen, Aussteigen heißt es und den Bus sauber verlassen.
Wie immer geht alles geordnet ohne laute Worte seinen Gang. Eine erlebnisreiche,
wohltuende Fahrt, für die ich dankbar bin, ist zu Ende. Der Kopf ordnet Abends
erst beim Erzählen die Eindrücke richtig. Schnell das Tagebuch geschrieben,
denke ich, damit nichts verloren geht. Aber man hat ja hoffentlich noch die
Fotos. Zurück an Bord geht es mit dem rumpelnden Zugshuttle. An Bord fluten
noch bis 20:00 Uhr die englischen Besucher. Unermüdlich freundlich und zuvorkommend
werden alle, besonders Ältere, an Bord herumgeführt und über die steile Stelling
geholfen. Die diensthabenden Kadetten brillieren mit ihrem Schulenglisch und
erklären geduldig alles, beantworten jede Frage. Manches Geldstück wechselt
den Besitzer, sehe ich. Ich schaue in den offenen Service-Shop zum 1. Elektriker
hinein. Wie ist das business? Karascho! Die Pfundpreise der Souvenirs haben
heute aber angezogen, denke ich noch.
Abendbrot, Lunch-time,
ist später, heute erst nach 20:00 Uhr, weil unsere Stewardess Ljuba bis spät
an Ständen an der Pier mit anderen Crewleuten verkaufen musste. Alle verstehen
das und ich erzähle inzwischen und jeder gönnt mir diesen Tag. Das hast du
dir verdient, höre ich und bin beruhigt, wegen meines Privilegs. Leichter
englischer Regen setzt ein, also ganz schnell weg mit den Souvenirständen.
Alle helfen mit. Feierabend, das Deck leert sich und alle erwarten zum krönenden
Abschluss des Southend-Stadtfestes noch das große Höhenfeuerwerk, von dem
gemunkelt wurde. Tatsächlich, von einem Schlepper weit hinten vor der Stadt spucken die Werfer
ihre Raketen. Danach, es ist spät, sitzen viele noch im Club. Sie fragen nach
Reisezertifikaten und da sitzt „Wowa“ wie zufällig mit einer Mappe. Ich soll
helfen. Gott sei Dank hat man das vorbereitet, denn es ist mit 10,00 DM pro
Zertifikat auch ein gutes Geschäft. Also „Wowa“ kassiert und ich gebe mit
Handschlag aus. Das könnte man an Deck mit einem Offizier z.B. auch schöner
und würdiger gestalten. Plötzlich bietet „Wowa“ auch noch eine Art Kurskarte
für 10,00 DM an. Auch die geht weg wie warme Semmeln. Einer spendiert mir
ein Bier. Danke auf beiden Seiten, austrinken und dann falle ich in meine
Koje, diesmal ohne Duschen.
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