„Mit der SEDOV von Rostock nach Portsmouth"

 

Ein Reisebericht von Manfred Hoppe aus Döbern
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19. August 2001


Ein Tag des Abschiednehmens ist dieser 19.8. Unsere dufte Truppe strebt den englischen Flugplätzen zu. Jeder hatte auf seine Weise die Anfahrt organisiert. 2 Nachzüglern, die nicht rechtzeitig ein Zertifikat bekamen, kann ich noch schnell helfen. Jeder verabschiedet sich herzlich von mir, mancher dankt noch einmal und wünscht weiter gute Fahrt. Draußen weht starker Wind mit leichtem Regen. Trotzdem kommen immer noch Schiffsbesucher an Bord, die genau so unermüdlich von den Kadetten umsorgt werden, wie an den vorherigen Tagen. Zusätzlich zu den zahlreichen Souvenirständen steht am Ruderstand noch die Spendenkiste mit der englischen Aufschrift „Helfen Sie mit, dass dieses Schiff noch lange segelt!“


Ich bleibe an Bord, denn die Stadt habe ich gesehen und wer will schon nass werden. Nachmittags kommen 5 englische Trainees und Winfried aus Sachsen an Bord. Winfried steht erst mal mit 6 Reisen auf der SEDOV, als alter Hase, genauso bescheiden und unschlüssig an der Gangway wie die anderen Mitsegler. Ich sehe das und gehe auf die Leute zu, um auch ihnen an Bord zu helfen. Ich stelle mir die Frage: Sind zahlende Besucher in Massen wichtiger als mitreisende Trainees, die aber auch zahlen? Lindsay Cole, ein gebürtiger Australier, ist sehr wissbegierig und lebhaft. Er ist mir sofort besonders symphatisch und ich führe ihn und auch Bert, unseren Ältesten, mit seinem Enkel herum. Winfried ist mit der Bahn unter dem Kanal hindurch gekommen, er hat als deutscher Eisenbahner überall freie Fahrt, sehr vorteilhaft. Er spielt Mundharmonika wie ich und wir üben abends gleich im Leninraum ob es klappt. Er passt sich gut an und es kann sich hören lassen. Das geht gut, bis unsere jugoslawischen Austauschkadetten und die 2 französischen Trainees die Musikanlage anwerfen. Mit den Engländern ergibt sich ein anregendes Gespräch. Eine neue Getränkeliste und den Getränkelastschlüssel habe ich von Dima beschafft, also haben alle auch zu trinken. Um 23:00 Uhr verabschiede ich mich zum Bedauern aller. Zu müde! Ach so, auch unser Fernsehteam geht von Bord. Besonders Ute von der Lieth als Chefin verabschiedet sich herzlich von mir und verspricht mir, das geschnittene Video zu schicken als Dank für meine Hilfe. Ich bin zufrieden und wünsche gutes Gelingen mit Kabel 1 „K1, die Reportage“.

20. August 2001


Um 14:00 Uhr soll die „SEDOV“ in See gehen, Kurs Portsmouth! Das heißt, 13:00 Uhr keiner mehr von Bord. Unser letzter Trainee, Markus, verabschiedet sich. Das Schiff hat kaum noch Besucher und wird seeklar gemacht. Die englischen Freunde fragen um 10:00 Uhr bescheiden nach „Teatime“. Also besorge ich Kaffee, Tee und Schlüssel vom Leninraum von Dimitri Rajew, der wie immer sofort hilft. Dabei bittet mich Dima, mich wieder um die neuen Trainees zu kümmern, kommt aber runter in den Leninraum, um auf Englisch eine längere Bordeinführung zu geben. Ich wollte eigentlich in diesen Tagen nach Portsmouth etwas kürzer treten, aber daraus wird also wieder nichts.


Um 14.00 Uhr kommen die altbekannten beiden Schlepper. Der Kopfschlepper ist ein bulliger Veteran, der ganz andere Schiffsgrößen bewegen könnte, als unsere SEDOV es ist. Die Pier ist wieder voller Menschen, die uns winkend verabschieden. Wie ich soeben im Gespräch feststellte, ist unter den neuen englischen Trainees auch ein 91jähriger ehemaliger Kapitän an Bord, der in jungen Jahren auf der „Parma“, einem der sogenannten „Flying-P-Liner“ der Reederei Laisz, gefahren ist. Einer seiner älteren Enkel ist mit dabei und umsorgt den alten Herrn sehr liebevoll. An der Pier stehen mehrere Töchter von ihm und winken heftig zum Abschied herüber. Unser australischer Gentleman, Lindsay Cole, eine englische Marinekrankenschwester und ein Ire sind weiterhin neu an Bord. So sind wir insgesamt 9 Trainees mit Winfried und Alwin aus Nottingham, der mit mir von der vorherigen Gruppe an Bord blieb. Es ist Flut und im Themsestrom werden bald nur die Rahen zum Wind besser umgebrasst. Segel werden wir bei den schwachen Gegenwinden und bei diesem dichten Schiffsverkehr wohl vorerst keine sehen. Also befasse ich mich mit seemännischer Fachliteratur, um für Igor Jewdokimow und Oleg Titjewitsch mein Anliegen vorzubereiten zur russischen Kommandoversion einer Wende und Halse fürs Internet. Sie wollten mir ja dabei helfen. Leider sind beide um 21:00 Uhr schon im Bett nach ihrem langen Tag. Also wird es vermutlich erst Morgen was.

Ich gehe zu Winfried in den Leninraum zum Mundharmonikaduett. Es klappt ganz gut, weil er sich eben schnell anpassen kann. Den Anderen scheint es auch zu gefallen und so spielen wir mein gesamtes Repertoire runter. Was war sonst los an diesem Tag? Die Stammcrew hat weiter mit den Kadetten fleißig an Bord kalfatert, gemalt und gespleißt. Ich habe in dieser Zeit Segeleinweisung mit unseren neuen Trainees gemacht, die Belegbänke erklärt und Thoralfs Segelmodell wieder erfolgreich eingesetzt. Besonders Lindsay, unser australischer Freund, der eigentlich in England lebt, ist sehr interessiert und fragt sehr viel nach. Manchmal ist dann mein englischer Wortschatz zu Ende. Besonders dann möchte ich mich nicht selbst englisch sprechen hören. Es muss grausam sein. Komischerweise werde ich augenscheinlich aber letztendlich verstanden. Alle sind sehr aufgeschlossen und dankbar und es stellt sich heraus, dass unser alter Herr am Ende seiner Laufbahn auch auf der „Cutty Sark“ als „Museumskapitän“ gearbeitet hat. So haben wir ein unerschöpfliches Thema, weil ich von diesem Schiff noch ganz frisch begeistert bin. Auch die alte Segelschifffahrt wird erörtert und Bert, so heißt der alte Sailor, erzählt aus seiner früheren Fahrenszeit, die so gar nicht romantisch war. Seine Enkel und Töchter schenkten ihm diese Kurzreise auf der SEDOV zum Geburtstag. „To remember, Manfred“, wie er dazu meint. In der Koje befasse ich mich jetzt verstärkt mit meinen Londonplänen im Detail: Was habe ich schon gesehen und was ist noch machbar in meinen geplanten 2,5 Tagen? So habe ich es immer gehalten und mich vorher auf jede neue Stadt richtig eingeschossen, damit man recht viel aus seiner Zeit machen kann. Alles klappt sowieso nicht.


21. August 2001


Wir sind die ganze Nacht unter Motor gelaufen, den wir kaum noch hören beim Schlafen und liegen schon vor Portsmouth. Lindsay hat ein GPS-Gerät und eine gute Kanalkarte aus seiner Seglerpraxis. Damit bestimmen wir unsere Position und alle diskutieren mit. Jetzt, 60 Seemeilen vor dem Zielhafen, wird das Flaggensignal „Ich treibe ohne Antrieb“ gesetzt und bei gutem Sonnenwetter überall wieder emsig gearbeitet. Bert, unser Senior, hat etwas gegen liederliche, verknotete Leinenenden ohne Takeling oder Rückspleiß. Das macht er mir klar und bittet um Takelgarn, Segelnadel und Segelmacherhandschuh. Also laufe ich zu Igor in die Segellast und spreche mit dem Segelmacher über Berts  Anliegen. „Was“, meint Igor, „ein 90jähriger britischer Seemann ist an Bord? Und er will helfen?“ Ich bekomme alles und organisiere noch schnell einen Segellastbesuch, denn gerade wird dort ein altes Focksegel repariert. Schnell gehe ich mit dem Nähmaterial an Deck. Nun wird Bert umlagert von uns und einigen Kadetten, weil er fachgerecht seinen Takeling auf die Tampenenden der Leinen näht. Er hat sichtlich Freude, dass er den Jungen noch was zeigen kann.


Die englische Miss erzählt mir, sie sei eine „Nurse“, also eine Krankenschwester, und interessiere sich sehr für das Hospital an Bord. Also spreche ich den Doktor an, der mir später über den Weg läuft. Gern zeigt er uns sein Reich. Leider kann er kaum Englisch, also muss ich vermitteln über Russisch zum Englisch, was die Krankenschwester wissen will, so gut es eben geht. Zum Schluss muss ich noch als Versuchskaninchen zum Blutdruckmessen herhalten, denn russische Instrumente haben es der Dame besonders angetan. Die anderen Neuen möchten ins Rigg hinauf. Also wieder in altbekannter Weise Sergei Mischinjow engagieren. Natürlich ist es möglich und alle haben ihr erstes größeres Erlebnis. Mit roten Köpfen stehen sie später wieder glücklich an Deck. Ich mache in dieser Zeit lieber einige gute Arbeitsfotos von den laufenden Decksarbeiten. Wo sonst sieht man in der heutigen Zeit solch altes Seemannshandwerk noch? Einige Porträts entstehen so nebenbei auch. Es wird ein herrlicher Abend mit einem knalligen Sonnenuntergang und lauer Luft. Niemand möchte so schnell unter Deck gehen. Dima Rajew hat plötzlich die Eingebung, eine Brückenführung zu machen. Ich trommle alle zusammen und gehe in dieser Zeit nach Achtern, einige Makrelen angeln, die gut beißen. Die Leute sind wie im Rausch. Fisch auf Fisch klatscht aufs Deck. Bald wird es wieder nach Fischsuppe riechen, das kenne ich von der Reede Lissabon von einer vergangenen Fahrt zur Genüge. „Willst du mitessen, Brüderchen?“, so hieß es damals immerzu. In der Dunkelheit geht das Angeln mit Taschenlampen weiter in einer mir neuen Weise. Es wird kurz die Pose beleuchtet, dann Licht aus und die Fische beißen weiter, es ist nicht zu fassen. Bloß nicht drauftreten und ausrutschen auf den glitschigen Dingern, die im Dunkeln überall herum liegen. Jetzt besuche ich noch Fock-Bootsmann Oleg, kurz vor seinem abendlichen Saunagang und mit einigen kleinen Geschenken verspricht er mir, bei den russischen Kommandos zu Wende und Halse Igor zu helfen. Nun wird es endlich klappen auch dieses Vorhaben umzusetzen. Wieder ist ein bunter, erfreulicher Tag vergangen. Was bringt der Morgige?

22. August 2001


Heute scheint es schön zu werden. Bald nach dem Frühstück klopfen wieder die Kalfatereisen ihr Stakkato. Überall stehen Farbtöpfe, Öle, Fette und Werkzeug herum. Also aufpassen, wo hingetreten wird. Außenbords sitzen oder stehen die Jungen beim Bordwandmalen wieder auf abenteuerlichen Bootsmannsstühlen, aber es ist ja kein gefährlicher Wellengang. Mancher Tropfen weiße Farbe schwimmt trotzdem um das Schiff auf und davon. Sie haben eine eigentümliche russische Technik beim Malen mit nur wenig Farbe in einer Schale aus einem alten Plastikkanister geschnitten. Dort rollen sie die Stielrolle ohne Abstreifgitter ab. So geht wenig Farbe in Verlust, wenn etwas runter fällt und schnell geht es auch. Die Segel hängen provisorisch in dieser ganzen Zeit nur liederlich gerefft unter den Rahen. Sicher sehen wir aus wie ein großes Piratenschiff mit unserem Gewimmel an Deck, wie vor einem Gefecht in alten Zeiten. 4 Großsegler werden ausgemacht, die Portsmouth zustreben. Ferngläser her, aber sie sind zu weit weg. Lindsay deutet an, dass uns bei dem Festival viel erwarten kann, z.B. 100 Jahre „Americas-Cup“ und anderes mehr. Abends sitze ich bei Igor in der Kammer, wieder bei einem guten Zigarrchen. Er schreibt mir endlich die russischen Wendekommandos auf. Nein, er möchte es bis morgen noch mit Oleg überarbeiten, denn fürs Internet soll alles stimmen. Wir erzählen noch und zeigen Fotos. Plötzlich holt er einen seiner kleinen, selbst genähten Seesäcke hervor und bittet mich, diesen für ihn bei unseren Trainees zu verkaufen. Beim Abendbrot zeige ich das allen, aber zuerst gibt es kein Interesse. Also stelle ich den Sack einfach allen vor die Nase. Und siehe da, nach dem Essen gibt es plötzlich Interessenten. Lindsay will sogar noch einen größeren Sack nachbestellen. Also mit ihm wieder runter in die Kammer zu Igor. Die Maße werden diskutiert, Sonderwünsche geäußert und die Partner sind zufrieden. So, das war’s für heute. Jetzt schnell Duschen, bevor die anderen kommen, denn dann gibt es Gedränge.

23. August 2001


Es ist etwas diesig heute und wir gehen zu 84 Glasen um 8.00 Uhr „Motor an“ Kurs Portsmouth. Die großen Einfahrtbarken sind jetzt klar zu sehen und im Seekanal nimmt der Schiffsverkehr sprunghaft zu. Bald kommt der englische Lotse mit seinem Pilotboot angerauscht, das geht alles blitzschnell. Jetzt passieren uns große Fähren immer öfter, kleine und große Segler kommen dicht auf, gegenseitiges Bestaunen, aber das scheint nur so, denn alles geht seemännisch klar geregelt vonstatten. Beim Passieren von Kriegsschiffen kommt es zum Flaggengruß. Alexander Konstantinowitsch ist schon mit seinen älteren Kadetten am Ruder beim Wirbeln, damit die Lotsenrevierfahrt klappt, als endlich das Segelmanöver zum sorgfältigen Aufbinden unserer liederlichen Segel kommt, denn so können wir nicht einlaufen. Der Hafen schält sich nun aus dem leichten Dunst. Donnerwetter, ist das ein Reedeleben, Boote und Schiffe aller Art auf Gegenkursen, dazwischen Navyspeedboote. Auch große Kriegsschiffe an Hafentonnen festgemacht, sehe ich. Unsere britische Marinekrankenschwester nimmt beim Passieren von Kriegsschiffen immer breitbeinig stramme Haltung an und grüßt mit der Hand ihre Berufskollegen. Dann geht es Schlag auf Schlag. Ein Mastenwald wird langsam mit dem Auge entwirrt. „Warrior“HMS Warrior, „Victory“, „Cuauhtemoc“ und viele andere werden klar geortet. Ich freue mich bei jedem Schiff. Daneben liegen große Kriegsschiffe im Päckchen und weiter hinten steht immer noch Mast an Mast. Was liegt hier noch? HMS VictoryIst die ganze Welt zu Gast? Ich erkenne die italienische Kriegsmarine wegen der großen Flagge mit einem schwarzen Schiff. Nein, es ist wieder nicht die „Amerigo Verspucci“, die ich gerne einmal gesehen hätte. Es ist die „Palinuro“, ihre kleinere Schwester. Die Omani’s haben ihre „Shabab Oman“ geschickt und zu meiner Freude ist auch der Stolz der Brasilianer, die nagelneue „Cisne Branco“, klar zu erkennen. Flugzeugträger und andere große Pötte der grauen Kriegerflotte der NATO-Staaten liegen hinten in den Docks im vollen Flaggenschmuck. Ich fotografiere wie wild. Wo soll man zuerst hinsehen? Es kommt Motiv um Motiv in Sicht. Wir gleiten vorbei in ein Flutdock mit einem Tor vorn und hinten, um den Wasserstand zu halten. Gegenüber liegt „Cisne Branco“ in ihrer schneeweißen Pracht, etwas kleiner als wir. Schmucke Uniformen haben die Brasilianos drüben, Cisne Brancomit kurzen Säbeln. Wir bekommen eine provisorische Gangway, dürfen aber nicht von Bord. Alle rätseln, was ist los? Dann, um 16:00 Uhr endlich wird es klar: Wir werden weiter verholt und nach uns schiebt sich sofort ein riesiger spanischer Kreuzer auf unseren Platz.

Vor uns hat sich das Hafentor geöffnet und ein kleiner Schlepper zieht uns quer durch den Kriegshafen. In dessen Mitte schwimmt eine große Holzplattform, wo gerade ein Hubschrauberangriff für Morgen geprobt wird. Kämpfer seilen sich ab, es knattert und qualmt. Ringsum liegen drohend viele Kriegsschiffe. Dazwischen sind große Sitztribünen in vielen Farben aufgebaut. Aus den Flaggen ersehe ich, dass alle NATO-Staaten mindestens ein großes Kriegsschiff entsandt haben. Die Schiffe sind mit viel Arbeit in Bestzustand gebracht worden, stehen gut in Farbe und Messing- und Chromteile blitzen in der Sonne. Wir liegen bald in einem neuen Hafenbecken nur für uns allein, genau gegenüber einem der drei großen Hafeneingänge, dem „Unicorngate“, wie es hier heißt. Das ist gut für unser Schiff, denn einer der 3 Besucherströme soll gleich auf das größte Segelschiff der Welt treffen, wie der Hafenlautsprecher mehrfach erläutert. Kaum sind wir fest, als ein Hafenkran 2 überlange englische Gangways einfach auf die Bordwand hebt. Eine ist für „Up“ und eine ist für „Down“ gedacht. Eine gute Lösung, alle Segler haben solch Privileg nicht. Dort staut sich der Besucherandrang oft an ihrer einen Gangway, wie die späteren Tage zeigen.

2 englische Trainees wollen uns verlassen, also organisiere ich schnell das Bezahlen der Getränke aus den Leninraumzeiten. Good bye! An Deck fotografiere ich jetzt Alla, unsere Bäckerin und Ljuba, unsere Stewardess aus der Kadettenkantine, in der auch wir essen. Wir möchten endlich von Bord und den Hafen erkunden. Die drei Damen aus der Lehrerschaft des Schiffes flanieren schon in voller Ausgehgala an Deck umher. Alle sind etwas schiffsmüde, wollen an Land, aber der Zoll hält uns noch auf. Endlich wird die Down-Gangway freigegeben: "Yes it’s possible now!" Ich habe bemerkt, dass die Leute im Hafen unten einen bunten Festivalumhänger am Hals tragen. Auch bei uns an Bord steht untätig ein solcher britischer „Offizieller“ herum, den ich daraufhin anspreche. Siehe da, er ist sogar des Russischen mächtig und extra vom Festivalbüro an Bord geschickt worden, um unter anderem solche Fragen zu klären. Bisher hatte er leider keinen Ansprechpartner an Bord gefunden und ist bei der ganzen Decksarbeit etwas untergegangen. Nun ist er mir dankbar, dass ich ihn den Offizieren zuleite. Er möchte die Crewlist und will für Festivalplaketten sorgen, die es dann für uns im Crewcenter geben soll. Ich trage mich noch schnell in die Crewlist ein, weil ich das verschlafen hatte. Ob wir diese Dinger auch als Trainees bekommen, steht in den Sternen. Also abwarten! Wichtig scheinen sie zu sein.

Als wir jetzt mit Lindsay zum ersten Hafenrundgang losgehen, begegnet uns Sergei Mischinjow schon mit Plakette um den Hals und einem Mädchen an der Hand. Wie hat er das alles so schnell gemacht, fragt man sich? Also, wo ist dieses Crewcenter? Wir finden es in der Abendsonne. Dort hat man unsere Liste bereits und alles geht höflich und reibungslos. Der Hafen ist riesig und verwirrend durch die vielen kleinen Becken mit ihren Toren, die gleichzeitig die Brücken darstellen. Wir orientieren uns immer an den großen Masten, die alles überragen. Es ist 23:00 Uhr und der Durst wird größer, also zurück zum Crewcenter, wo Lindsay das erste Guinnes spendiert. Ein schottischer Spielmann musiziert, es ist rammelvoll und alle möglichen Dialekte schwirren durch den Raum. Morgen soll das Festival offiziell um 10:00 Uhr eröffnet werden, bekomme ich mit. Ich will noch Geld tauschen in dieser Nacht. „Bankmachine“ heißt der Wechselautomat hier und Lindsay kennt einen von früher her im Hafen. Er wird auch gefunden und mit kleinen Hindernissen benutzt. Jetzt geht es langsam zurück. Die Schiffe sind meist hell erleuchtet, es ist einfach herrlich. Es weht ein warmes Lüftchen und es gibt noch keine Besuchermassen.

Plötzlich treffen wir auf einem riesigen Platz auf die reizvoll angeleuchtete „Victory“ in ihrem Trockendock. Wir sind beide begeistert. „Ja, das ist es wert, Manfred“ meint Lindsay. Wir beide scheinen überhaupt immer mehr auf einer Welle zu liegen, was die Seefahrt und anderes anbetrifft. Wir laufen noch vor zur „Cuauhtemoc“, die schon Rahenbeleuchtung angelegt hat. Gallionsfigur der ShtandardHier ist überall Musik, eine Bordparty steigt gerade. Wir treffen Alwin, dem schon die Füße nicht mehr so wollen. Wie viel Kilometer waren das heute Abend schon in diesem großen Hafen? Und sieh mal da, die russische „Shtandard“ Standardin alter Bauweise nach Peter I. und seinen Plänen als Replik nachgebaut. So geht es immerzu. Morgen ist auch noch ein Tag, denn auch meine Füße melden sich, sie sind das lange Laufen nicht mehr gewohnt. Gott sei Dank hat das Schwanken des Hafenbodens nachgelassen. Wir sind wieder echte „Landeier“, Touristen eben, aber gleichzeitig auch „Offizielle“ mit Festivalumhänger, was überall freien Zutritt bedeutet. „RUSSIA-SEDOV“ steht groß zu lesen darauf und man muss nur darauf tippen und alles ist klar, z.B. bei der überall präsenten Hafenpolizei. Um 1:00 Uhr geht es müde in die Koje. Man hat so viel gesehen heute. Schnell noch aufschreiben.

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