„Mit der SEDOV von Rostock nach Portsmouth"
Ein
Reisebericht von Manfred Hoppe aus Döbern
(Seite 4 von 4)
24. August 2001
Heute ist offiziell die
Reise zu Ende mit dem letzten bezahlten Frühstück und man müsste abmustern.
Das wäre heute zur Festivaleröffnung geradezu verrückt und so bleiben alle
im "Hotel SEDOV" an Bord und zahlen später 40,- DM pro Nacht und
Verpflegung gerne zu. Wo gibt es das in Portsmouth sonst so billig? Ganze Shantygruppen
und andere Touristen essen und nächtigen auch an Bord, was man nur bei den
Mahlzeiten merkt. Ich will möglichst bis zum 28. an Bord bleiben und das Festival
bis zum Ende mitmachen. Ich spreche mit Wowa (Wladimir Smirnow) und Dima (Dimitri
Rajew) noch einmal über das Nachzahlen. Nein, Manfred, du hast uns geholfen,
nun helfen wir dir. Du zahlst nichts! Du bist unser Freund. Beide erzählen
mir leise, dass sie eigentlich die letzte Reise auf der SEDOV machen und auf
anderen Schiffen weiter kommen wollen, sicher wegen besserer Bezahlung. Wowa
möchte auch sein Mädchen zu Hause festhalten. Das ist das alte Seemannsproblem!
Heute morgen vor 10:00 Uhr arbeiten Hafenarbeiter und Stammcrew noch fieberhaft
an Gangwaysicherheitsnetzen und Zuschauer- und Besucherleitzäunen vor dem
Schiff, bevor der Ansturm kommt. Vor dem Unicorngate rumoren schon die Massen.
Ich schieße schnell noch einige Porträts vom Oberbootsmann Koslow und anderen
Stammleuten, die freundlich posieren in ihren Uniformen. Dann eile ich in
den Hafen zur Fototour bei gutem Licht, bevor das Gewimmel losgeht. Also rauf
auf die Victory als erster noch vor 10:00 Uhr. Sie haben eine offizielle Plakette?
Bitte sehr, kommen sie vor! Na, wenn das nichts ist! Eine volle Stunde Victory
folgt: Vor Nelsons Verwundungsstelle an Deck zieht man die Mütze zum Gedenken,
habe ich gesehen. Trotz Verbot gelingen einige Blitzaufnahmen im Innenraum
des riesigen Schiffes mit seinen vielen Decks. Draußen scheppern erste Militärkapellen.
Es geht los! Jetzt rauf an Deck des alten Schlachtschiffes. Draußen im Hafen
zieht gerade die Mir ein, pünktlich zur Eröffnung. Schlachtflieger fliegen
enge Formationen am Himmel, Salut wird geschossen aus historischen Büchsen,
Umzüge mit historischen Kleidern und Uniformen umlaufen die Victory. Da, der
Mann dort soll Nelson darstellen, kommt jemand aus der Admiralspforte im Schiff
heraus und redet zum Publikum. Alles passt zueinander, nichts wirkt kitschig.
Unten am Schiff staut sich die erste Besucherschlange. Die Menschen fluten
durch die Hafentore immer noch nach.
Ich suche und finde die Schiffsmodellbauhalle mit Hilfe des Planprospektes,
was immer griffbereit sein muss. Unter den vielen Exponaten ist auch ein Windjammermodell
und ich plausche mit dem stolzen englischen Erbauer über Einzelheiten, verstehe
nicht alles, habe aber guten Kontakt. Die Visitenkarten werden ausgetauscht.
Modellbauer sind eine internationale Familie, scheint es. Um 12:00 Uhr bin
ich das erste Mal fußmüde und hungrig, schnell an Bord zum Essen. Hier ist
das erwartete Getümmel noch begrenzt. Die vielen Souvenirstände sind noch
nicht richtig entdeckt worden, denn die Festivaleröffnung fand woanders statt.
Nach dem Essen jetzt 30 Minuten Kojeund Beine hoch legen, denn gestern war
es doch etwas pät. Nach 13:00 Uhr treibt mich und Lindsay die Unruhe wieder
hoch: Jetzt weiter in Stichpunkten von diesem Nachmittag.
Kriegsvorführungen der
NATO-Schiffe im Hafenbecken, an Bord der Fregatte Emden deutsches Bier trinken
mit Lindsay, Plausch mit den Matrosen am Tresen, donnernde Hubschrauber aller
Größen, Düsenjäger, Kämpfer seilen sich auf die Kampfplattform ab, Panzer
werden von Landungsfahrzeugen angelandet, es ballert, knallt, raucht und stinkt.
Nichts für mich, aber das
Publikum sitzt auf den riesigen Tribünen rings um das Geschehen und harrt
tapfer aus. Wir gehen weiter durchs Gewühl zum Open Ship auf Cisne Branco,
Shabab Oman und Palinuro. Dann finden wir gezielt die Shantybühne und
hier lauschen wir den ständig wechselnden Gruppen. Es ist herrlich und ich
schwelge in diesem Genre von Tönen und kernigen Männerstimmen. Das liebe ich!
Das gehört hierher! Um 18:00 Uhr geht es zum Abendbrot zurück und wir geraten
in einen riesigen Karnevalsumzug. Dann rauf auf die Mir. Dort organisiere
ich für Lindsay eine Spezialführung durch das ganze Schiff. Wir sehen die
auslaufende Seacloud II, ein schnittiger Kreuzfahrer. Ein Foto noch schnell
schießen davon. An den Piers stehen weitere kleinere Shantymengroups. Kassetten
und CDs werden gekauft. Man kann nicht anders, was solls! Was machen wir heute
noch? Noch einige Abendfotos von Victory und Shtandard und dann kommt meine
Guinnes-Revanche. Das Bier zischt richtig herunter. Noch eins! Lindsay hat
noch Elan. Wir gehen zum Einlaufstrom vor und erwischen gerade die 3 schmucken
frisch eingelaufenen norwegischen Segelschiffe: Sørlandet, Christian
Radich und Statsraad Lehmkuhl. Lindsay ist von ihnen begeistert. Jetzt ein
Besuch auf der Shtandard. Leute von der SEDOV sind auch an Bord, sicher wegen
der hübschen Mädchen, die gern alles erklären auf dem kleinen Schiff, was
ohne jeglichen Komfort ist. Man trifft sich wieder mit freundlichem Hallo,
einige Informationen zum Schiff und "See you later"! Weiter geht
es. Ich erzähle Lindsay die Geschichte von Zar und Zimmermann aus der Historie
passend zu diesem Schiff. Er staunt. Im Crewcenter ist es wieder urig und
eng aber wieder mit Live-Musik. Jetzt ist es genug für heute, ab an Bord,
duschen und weg. Ein toller Tag! Portsmouth ist Hanse Sail mal vier!
25. August
2001
Ich schreibe jetzt nur
spät Abends! Ein weiterer erlebnisreicher Tag liegt hinter mir: Lindsay machte
alles mit. Wir sind Freunde inzwischen. Zuerst lotst er mich auf den großen
Flugzeugträger der Briten Illustrios. Hier starten Senkrechtstarter und Hubschrauber,
das riesige Innere ist eine gewaltige Ausstellungshalle, heute mit freundlichen,
uniformierten, englischen Seedamen, die unermüdlich erklären und führen. Überall
auffallend viele Mädchen in der englischen Marine. Harriers und Tornados dröhnen
über uns. Aha, die täglichen Kriegsspiele fangen wieder an. Kunstfliegerformationen
mit farbigem Rauch fliegen enge Figuren. Es reicht! Und was das kostet! Wir
hauen ab zur Cuauhtemoc. Viva Mexico, schönes Schiff, freundliche Besatzung,
sehr zuvorkommend. Dann endlich raus in die Stadt vor das Victory-Gate. Hier
liegt, wie ein schwarzes Ungetüm, die Warrior, wie wenn sie den Hafen bewacht.
Bunt geflaggt auch sie, herrliches Bild! 2 Stunden an Bord vergehen unbemerkt,
so interessant ist das Schiff. Ein riesiges durchlaufendes Oberdeck ziemlich
leer, Vorderlader
für Vollkugeln und die neueren Armstrongkanonen als Granatenhinterlader gemeinsam
auf einem Schiff mit Segelrigg und damals modernster Dampfmaschine mit liegenden
Zylindern. Und das alles auf einem Schiff! Sehr gepflegte Wohnräume, an Bord
sind auch Leute in passend zur Schiffszeit historischen Uniformen. Mich begeistert
nicht das Militärische dieser Tötungsmaschine, als eher der historische, schiffbauliche
Aspekt. Die Warrior war mein zweites Traumziel neben Victory und Cutty Sark.
Das bleibt unvergessen!
Zum Essen, 19:00 Uhr, schnell wieder an Bord. Dann
geht es wieder ins Gewühl. Überall spielen Standbands oder es marschieren
Militärkapellen, Schottenpipes wechseln mit weiblichen Seekadetten, aber keiner
stört den anderen. Dazwischen sind Samba-Gruppen und Steel-Bands. Mit Lindsay
trinken wir im Crewcenter unser letztes gemeinsames Bier. Morgen früh muss
er von Bord. Er bedauert es auch. Versprechungen werden gemacht, Adressen
ausgetauscht. Ja, ich schicke dir dies und du das, alles Gute, es war schön
mit dir in Portsmouth.
Es ist stressig und schwülwarm den Tag über aber auf Grund der vielen Eindrücke
merkt man das Anstrengende erst am Abend. Die Menschenmassen können Sonntag
nur noch mehr werden. Man denkt, ganz London ist hier.
Also Good bye, bis Morgen!
26. August
2001
Der Festivalhöhepunkt ist
wohl erreicht. Es ist ein trüber Tag. Regen liegt in der Luft. Um 8:00 Uhr
gehe ich gleich zum Hafenbahnhof um Züge nach London auszukundschaften und
die Strecke zum Seesacklaufen morgen auszumessen. Es sind mindestens 2,5 km!
Alle 20 Minuten gehen Züge am Tag nach London-Waterloo-Station! Ich sehe mir
nochmals die Warrior an und fotografiere die Gallionsfigur in der Morgensonne.
Gott Mars stellt sie dar. Es
ist nochmaliger Andrang vor dem Gate aber ich werde reibungslos durchgelassen.
Ich besuche das Wrackteil der Mary Rose in seiner Sprühhalle und gehe dann
in das zugehörige Museum mit den gefundenen Artefakten. Das ist das eigentliche
Interessante bis zu den gefundenen Menschenresten, Ausrüstungen, Kanonen u.a.
An der Victory reihe ich mich doch noch mal in die Warteschlange ein. Ich
muss einmal noch an Bord. Unten läuft das Eröffnungsspektakel des Festivals
ein letztes Mal ab. Gegenüber liegt das Victory-Museum und wird auch besucht.
Danach noch ein Bummel über die historische Marktstraße mit ihren typischen
Ständen und Menschen in historischen Kleidungen. Kleine Spielszenen lockern
das Markttreiben auf. Es gibt überall Fotomotive ohne Ende aus diesen vergangenen
Zeiten. Hier steht die englische Historie und nicht der Kommerz im Vordergrund.
Zum Shantykai muss ich auch noch. Hier treten ganztägig noch einmal alle gemeldeten
Gruppen bis Abends nacheinander auf. Zu 13:00 Uhr, Mittagessen an Bord, setzt
Dauerregen ein. Neue Trainees kommen an Bord, also wird der Regen mit Erzählen
und Bekanntmachen überbrückt und den neuen Leuten mit Tipps weiter geholfen,
wie bisher eben. Man kann gar nicht anders. Einigen zeige ich auch den Hafen
als es etwa um 16:00 Uhr zu regnen aufhört, haben sie doch nur diese wenigen
Tage. Zurück zieht es mich dann zu den Shantys. Die Polen und die Bristol-Shantymen
sind besonders stark und werden gefeiert. Das Publikum und ich singen mit.
Winfried verabschiedet sich nach Hause. Er ist Eisenbahner und fährt quer
durch Europa umsonst. Er will sich später mal melden. Ich besuche nochmals
Jewgeni. Er sagt: Für dich ist meine Kammer immer offen. Wir sprechen über
meine Idee, sein eventuelles Engagement als künftiger Traineebetreuer und
anderes. Er möchte das schon gern, müsste aber auch von der Schiffsführung
motiviert werden.
27. August 2001
Der letzte Tag des Festivals
of the Sea bringt noch mal einen heißen Tag. Ich pilgere in die Stadt, durch
das Victory-Gate, zur Warrior. Ich brauche noch einige Fotos und finde das
Schiff einfach großartig. Dabei muss ich an den Zerstörern vorbei, von denen
die Winston Churchill der US-Navy heute den größten Zulauf hat. Eine amerikanische
Militärkapelle spielt auf dem Achterdeck guten Glenn-Miller-Sound. Die Kriegsspiele
im nahen Kriegshafen erreichen noch mal einsame Höhepunkte. Fallschirmspringer
mit buntem Rauch zeigen Figuren aller Art, danach liefern sich Spitfirejäger
aus dem 2. Weltkrieg heftige Scheinkämpfe. Sogar 2 Lancasterbomber, die soviel
Elend über deutsche Städte brachten, dröhnen tief über den Hafen hinweg.
Ich gehe lieber noch einmal zu den Shantygruppen. Die englischen Forebitter
sind heute besonders gut. Man vergisst alles dabei, hört einfach zu und singt
die Refrains mit, während im Hintergrund die ersten Jachten und kleinen Segler
bereits ihre Liegeplätze aufgeben. Irgendwie merkt man den Akteuren im Hafen
an, dass die Spannkraft nachlässt. Trotzdem spielen überall die Kapellen,
aber sie stehen heute mehr am Ort als dass sie laufen. Es ist zu heiß, 28-30°C,
schätze ich. Um 19:00 Uhr beim Abendbrot flüstert mir Ljuba, unsere gute Seele,
die Parole zu: Manfred, heute Nacht 3:00 Uhr Auslaufen!
Oh Schreck, kann das wahr sein? Ich laufe zu Dima Rajew, aber es stimmt.
Er gibt mir den guten Rat, um 2:00 Uhr aufzustehen und bald von Bord zu gehen,
denn das Schiff würde verholt werden zum Auslaufen und dann keine Gangway
mehr bekommen. Alle alten Trainies packen jetzt fieberhaft, auch die beiden
jungen Franzosen beginnen endlich Ordnung zu schaffen. Leider tun sie das
mitten in der Nacht, also ist an etwas Schlaf nicht zu denken. Ein großes
Stullenpaket und Tee habe ich auf alle Fälle beiseite gebracht, der Seesack
ist klar, nun beginnt überall das Verabschieden. Einige Freunde erreiche ich
nicht mehr, andere sagen, warte, wir sehen uns noch in der Frühe.
28. August
2001
Als um 2:00 Uhr der Wecker
schrillt, bin ich sofort hellwach und schnell mit dem schweren Zeug an Deck.
Alwin, unser Mann aus Nottingham ist schon da, weil wir gemeinsam nach London
wollen. Geteiltes Leid ist halbes Leid und so kommt es auch. Wowa, Alexander
Konstatinowitsch, und auch Kapitän Mischinjow sind schon auf Deck und herzliche
Worte werden auch hier gewechselt. Plötzlich schrillt das Klingelsignal "All
hands on deck" in die Nacht, der Schlepper tutet schon am Dock-Tor, es
ist Zeit zu gehen. Auf Wiedersehen SEDOV, ein letzter Blick geht zurück, wo
das Schiff noch weiß und strahlend beleuchtet nicht mehr lange an seinem Platz
liegt.
Nun tippeln wir beide mit
zentnerschwerem Gepäck in die warme Nacht, durch den schlafenden Hafen dem
Bahnhof zu. Was ist los? Victory-Gate, kurz vor dem Bahnhof ist verschlossen!
Eine Polizeistreife und ein junger Mann mit Freundin helfen sehr nett unser
Gepäck zu transportieren, denn sie sehen, es geht bei Alwin kaum noch. Ich
schwitze auch ganz schön. Nach einem langen Umweg erreichen wir über ein Schlupfloch
am Marlborough-Gate endlich den Bahnhof. Geschafft! Wir sind die ersten Fahrgäste
des ersten Zuges um 4.30 Uhr nach London-Waterloo-Station. Der Schaffner ist
sehr nett und gibt mir für London wertvolle Tipps zu günstigen Fahrkarten
dort und Gepäck-Aufbewahrungsmöglichkeiten. Alwin und ich dösen bis London
und dann endlich kommt der letzte Abschied. Auch Alwin ist ein Freund: See you later, perhaps next year! Ja,
vielleicht, wer weiß?
Ich muss jetzt das schwere
Gepäck loswerden, finde den Schalter auch und muss mein Tagesgepäck umpacken.
Argwöhnisch beobachtet mich das Personal, ob ich wohl ein Terrorist bin. Sie
haben einschlägige Erfahrungen mit Gepäckbomben und durchleuchten mein Zeug
gewissenhaft. Auf dem Bildschirm ist alles zu sehen, was ich drin habe. Dafür
löhne ich etwa 36,- DM für diese 3 Gepäckstücke bis 24:00 Uhr. Wenn das mit
den Preisen so weiter geht? Jetzt erkunde ich am U-Bahn-Schalter, ob es eine
Traveller-Card für drei Tage gibt,
die U-Bahn, Stadtbusse und Citytrains in der Umgebung der Stadt einschließt.
Nein, es gibt diese 3-Tages-Karten leider nicht mehr, nur noch für 7 Tage
aber dafür brauche ich ein Passbild, erklärt man mir. Es soll Fotoautomaten
geben, die Schnellpolaroids anfertigen. Der erste Automat will mich nicht
und auch den jungen Engländer nach mir nicht. Der ist sehr freundlich und
nimmt mich mit zu einer anderen Maschine in eine andere Ecke des Riesenbahnhofes.
Dort hilft er mir beim umständlichen Bedienen des Automaten und ich revanchiere
mich mit Geldwechseln. Es funktioniert endlich und bald halte ich für meine
6 Pfund 4 noch warme Passbilder in
der Hand. Jetzt wird mir höflich der
Fahrausweis für 60,- DM ausgehändigt und das ist an Einzelfahrscheinen gerechnet,
noch sehr günstig für 3 Tage London.
Jetzt hinein in die Metro, die hier Tube heißt. Es ist rappelvoll auf den
Rolltreppen und Bahnsteigen, denn jetzt will London zur Arbeit. Aus den Wohnvorstädten
rollen die Massen an. Alle Typen von Leuten kann man beobachten. Deshalb suche
ich mein erstes Ziel, St.-Pauls-Cathedral, lieber zu Fuß auf. Dann, immer
wieder mit Metro fahren. Dazwischen finde ich auch den Tower und neben der
Tower-Bridge entdecke ich auch die etwas versteckten Katherine-Docks, die
mir Winfried so empfohlen hatte. Dieser kleine Nebenhafen der Themse zeigt
noch altes London, mit malerischen Brücken, alten Dockhäusern, kleinen Läden,
viel Blumen und Farben und elegante Jachten und historische Boote. Es ist
ein Kleinod im Stillen. Man hört die Stadt nicht mehr. Dafür krähen Hähne
wie auf dem Dorf, es geht auf Mittag zu und plötzlich werde ich steinmüde.
Die letzt kurze Nacht will ihren Tribut. Also suche ich mir eine sonnige Parkbank
am Themseufer, gegenüber dem Kreuzer Belfast, um etwas zu ruhen. Und siehe
da, ich bin mit meinem Vorhaben nicht allein, sondern in bester Gesellschaft.
Nach einer guten Stunde bin ich wieder frisch und bummle weiter am Themseufer
entlang.
Aber die richtige Zielstrebigkeit will sich nicht mehr einstellen und so entschließe
ich mich, um 15:00 Uhr mein Schlafquartier in der Vorstadt Hithergreen anzusteuern.
Jetzt schnell das Schwergepäck abholen, wieder umpacken und den Cityzug finden.
Endlich eine Auskunft: Yes Sir, dieser Bahnsteig ist richtig. Alle diese Züge
von hier fahren über Hithergreen. Ich wuchte mein Gepäck in den Zug und bin
beruhigt. Nach 25 Minuten huscht das Ortsschild gut lesbar kurz vorbei, weil
mein Zug einfach nicht hält. Was für eine tolle Auskunft! So fahre ich weit
über die dritte Reisezone meiner gelösten Traveller-Card hinaus, bis ich endlich
zurückfahren kann, aber alles geht gut. Gleich am Bahnhof finde ich auch meine
Dungrievie-Road 32 und eine freundliche Miss Brown empfängt mich, wie einen
alten Freund. Ihre kühle Cola weckt meine Lebensgeister wieder. Ein voller
Kühlschrank mit Küche, ein kleiner Hintergarten, praktisch das ganze Haus
steht zu meiner Verfügung. Nur mit der englischen Hausschlüsselanlage habe
ich anfangs Probleme und der Steckdosenadapter fehlt mir auch. Handy und Rasierer
brauchen aber Strom. Ja, es gibt einen Elektromeister, rät mir die Wirtin,
und zeigt mir auch einen billigen Coop-Shop. Der Elektromeister hilft mir
sehr freundlich und ich bezahle. Plötzlich kommt er mir noch nach und gibt
mir 5,- DM auf der Straße, die er wegen des Euros sowieso nicht mehr
umsetzen kann. Na, prima, damit ist mein Adapter wieder voll wettgemacht.
Trotzdem dass der Kühlschrank bei Miss Brown mit guter Verpflegung voll gestopft
ist, kauf ich für den Tagesbedarf doch noch Etwas ein und denke auch an eine
kleine Aufmerksamkeit für meine Wirtin, die sich sehr freut. Ich habe eine
sehr familiäre Unterkunft erwischt, viel besser als ein Hotel, obendrein preiswert
und nette kleine Gespräche gratis. Am Morgen gehen die Hausbewohner zur Arbeit
und mir wird als Letztem alles anvertraut.
29. August 2001
Ich bin allein im Haus
und walte in der Küche umher bei einem ausgiebigem gesunden Frühstück. Jetzt
Proviant in den Rucksack und um 9:00 Uhr wieder der City of London zu. Erst
einmal geht es nach Liverpool-Station, einem weiteren Riesenfernbahnhof, um
die Zugabfahrt morgen nach Harwich zu erkunden. Aha, 15 Pfund bis Harwich-International,
ab 13:25 Uhr, aber welcher Bahnsteig ist nicht rauszukriegen. Mit der Metro
fahre ich nach Westminster-Station, denn ich will Whitehall hoch laufen Richtung
Trafalgar-Square. Die berittene Wache am Haus der königlichen Horse-Guard
ist mein Ziel. Verwunderlich, die Husaren sind
alles stramme Mädchen. Ich schlendere vom Square die Prachtstraße The
Mall hinunter an den vielen historischen Denkmälern vorbei nach Buckingham-Palace.
Es strahlt hinten schon in der Sonne. Das Schöne ist, auf der Mall geht man
als Fußgänger durch einen Bäumetunnel stets im Schatten. Auf dem Platz vor
dem Palais bewundere ich das klotzige Denkmal Victorias in der Mitte und biege
dann ab in den wunderschönen St.-James Park mit dem langen See darin. Auf
dessen Mittelbrücke hat man einen einmaligen Blick auf Buckingham-Palace auf
der einen und die Altstadt auf der anderen Seite.
Wie immer sind bei gutem Wetter wie heute alle Wiesen und Parkbänke mit Besuchern
belegt und auch ich packe mein Lunchpaket aus. Jetzt forsche ich an der Themse
nach Victorias-Tower-Garden, wo mir damals bei der Stadtrundfahrt flüchtig
ein malerisches gotisches Kapellchen auffiel. Ich finde es in der Nähe des
Parlamentes, komme aber wegen einer Absperrung nicht heran. Aber wozu gibt
es Teleobjektive? Nun bummle ich die Millbank-Street zur Lambeth-Bridge hinunter.
Das Rot der Brückenkonstruktion leuchtet im schönen Kontrast zum Blau der
Themse im Sonnenlicht. In Westminsterstation tauche ich wieder hinunter in
die Metrotiefen, um nach Soho zu kommen. China-Town und Windmill-Street sind
voller Leben. Alle Rassen der Welt scheinen hier zu wohnen. Man sieht es auch
an den Müllecken, dass die Stadt hier Probleme hat. Auch etwas Schlüpfrigkeit
im scheinbar sonst prüden England findet man hier, immer mal eine heruntergekommene
Peep-Show oder Ähnliches hält sich hier über Wasser.
So trotte ich schon
etwas pflastermüde runter bis Piccadilly-Circus, um hier im Abendlicht gerade
die Leuchtreklamen starten zu sehen und den Eros-Brunnen in der Mitte des
Platzes zu bewundern. Auf Wiedersehen London-City und nun zurück nach dem
ruhigen Hither-Green zu Miss Brown. Mit ihr mache ich noch ein kleines Schwätzchen
im Hausgarten, genehmige mir ein Büchsen-Guinnes und dann verabschiede ich
mich dankbar und herzlich von meiner Wirtin, da ich morgen um 9:00 Uhr allein
das Haus verlassen werde. Sie bietet mir noch ein Bier an. Danke! Noch etwas
im Conrad lesen.
30. August 2001
Ich erreiche Liverpool-Station
recht früh um 11:00 Uhr und finde nun auch meinen Bahnsteig nach Harwich-International
heraus, habe aber bis 13:25 Uhr noch Zeit. Also setze ich mich geruhsam in
das Gewimmel mitten in die Bahnhofshalle und schreibe an diesem Reisebericht,
ohne auf die Leute zu achten, fleißig Seite für Seite. In Hither-Green hatte
ich noch einen netten Zettel meiner Wirtin vorgefunden und mir reichlich Essvorräte
für die Fährfahrt angelegt, denn meine Pfunde sind planmäßig schon zu Ende.
Wohl wird mir erst sein, wenn ich an Bord der Fähre eingecheckt habe. Werden
meine vorgebuchten Papiere ausreichen? Wird mein zu schweres Gepäck über 50
kg etwa beanstandet werden? Komme ich rechtzeitig an? Wie weit ist es vom
Zugbahnhof zur Fähre noch zu laufen mit dem Gepäck? An so etwas denkt man
doch. Aber alles geht gut.
Eine nette deutsche Reisebekanntschaft im Zug hilft die Fahrt verkürzen. Deutsche
scheinen sich in der Fremde auch sofort zu erkennen. Er spricht mich also
an und dann plauschen wir über Gott und die Welt. Bis zum Anmarsch ins Fährterminal
sind wir zusammen, dann verlieren wir uns. Ich habe nur Liegesessel, er Kabine
gebucht. Die Liegesessel entpuppen sich als steile Konferenzsessel ohne Verstellmöglichkeit,
dicht wie in einem Flugzeug angeordnet aber das anliegende Achterdeck ist
schön frei nach hinten und wird von den Leuten zum Sitzen und Schauen genutzt
z.B. um 16:00 Uhr das Ablegemanöver aus nächster Nähe. Unter dem Eisendeck
des Raumes hämmert die Wellenanlage der Fähre. Da wird kaum Schlafen möglich
sein und in den Sesseln wird man nur krumm zur Nacht. Also mache ich es wie
schon einige Tramps um mich herum, lege mich auf den weichen Fußbodenbelag,
etwas Weiches aus dem Gepäck unter den Kopf und versuche zu ruhen. Das Vergnügungsangebot
auf der Fähre kann mir gestohlen bleiben. Ich sehe bis zur Dunkelheit Englands
Küste entschwinden, die Schiffslichter anderer Schiffe, die Hecksee unseres
Doppelschraubenschiffes Admiral of Scandia. Das ist viel schöner. Drinnen
kann man bei Licht im Sessel noch etwas weiter im Reisebericht kommen.
Am
Morgen des 31. August 2001 krabble ich etwas steif im Rücken hoch. Im Deck
sieht es aus wie im Heerlager, weil es viele mir nachgetan hatten. Auf der
Toilette wird das legere Nachtzeug gewechselt, sich gewaschen, fertig. Auf
dem Achterdeck beginne ich eine kleine Unterhaltung über den sichtbaren Dreimaster
auf Steuerbord und peile nach Helgoland aus. Dann per Handy noch bei Lothar
in Neustadt Glewe anrufen, damit er mich in Hamburg Fährkai um 13:00 Uhr abholen
kann und nach Kühlungsborn zu Thoralf und meinem Auto bringt. Auch nach Hause
zum Frauchen geht eine Meldung ab. Beim Einlaufen Cuxhaven-Oberelbe ist es
nasskalt und etwas diesig. Ein guter Tag zum Beenden eines Urlaubs. Die hübschen
Villen von Blankeneese reizen aber doch zu letzten Fotos. Dann 12:30 Uhr sind
wir fest und die Heimat hat mich wieder.
(Diese 2 Bilder sind
von Ralf Baier)
Vom 11. bis 31.08.2001
war ich fort. Es war ein toller Törn, Tatsache!
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