„Mit der SEDOV von Rostock nach Portsmouth"

 

Ein Reisebericht von Manfred Hoppe aus Döbern
(Seite 4 von 4)

24. August 2001


Heute ist offiziell die Reise zu Ende mit dem letzten bezahlten Frühstück und man müsste abmustern. Das wäre heute zur Festivaleröffnung geradezu verrückt und so bleiben alle im "Hotel SEDOV" an Bord und zahlen später 40,- DM pro Nacht und Verpflegung gerne zu. Wo gibt es das  in Portsmouth sonst so billig? Ganze Shantygruppen und andere Touristen essen und nächtigen auch an Bord, was man nur bei den Mahlzeiten merkt. Ich will möglichst bis zum 28. an Bord bleiben und das Festival bis zum Ende mitmachen. Ich spreche mit Wowa (Wladimir Smirnow) und Dima (Dimitri Rajew) noch einmal über das Nachzahlen. Nein, Manfred, du hast uns geholfen, nun helfen wir dir. Du zahlst nichts! Du bist unser Freund. Beide erzählen mir leise, dass sie eigentlich die letzte Reise auf der SEDOV machen und auf anderen Schiffen weiter kommen wollen, sicher wegen besserer Bezahlung. Wowa möchte auch sein Mädchen zu Hause festhalten. Das ist das alte Seemannsproblem! Heute morgen vor 10:00 Uhr arbeiten Hafenarbeiter und Stammcrew noch fieberhaft an Gangwaysicherheitsnetzen und Zuschauer- und Besucherleitzäunen vor dem Schiff, bevor der Ansturm kommt. Vor dem Unicorngate rumoren schon die Massen.

Ich schieße schnell noch einige Porträts vom Oberbootsmann Koslow und anderen Stammleuten, die freundlich posieren in ihren Uniformen. Dann eile ich in den Hafen zur Fototour bei gutem Licht, bevor das Gewimmel losgeht. Also rauf auf die Victory als erster noch vor 10:00 Uhr. Sie haben eine offizielle Plakette? Bitte sehr, kommen sie vor! Na, wenn das nichts ist! Eine volle Stunde Victory folgt: Vor Nelsons Verwundungsstelle an Deck zieht man die Mütze zum Gedenken, habe ich gesehen. Trotz Verbot gelingen einige Blitzaufnahmen im Innenraum des riesigen Schiffes mit seinen vielen Decks. Draußen scheppern erste Militärkapellen. Es geht los! Jetzt rauf an Deck des alten Schlachtschiffes. Draußen im Hafen zieht gerade die Mir ein, pünktlich zur Eröffnung. Schlachtflieger fliegen enge Formationen am Himmel, Salut wird geschossen aus historischen Büchsen, Umzüge mit historischen Kleidern und Uniformen umlaufen die Victory. Da, der Mann dort soll Nelson darstellen, kommt jemand aus der Admiralspforte im Schiff heraus und redet zum Publikum. Alles passt zueinander, nichts wirkt kitschig. Unten am Schiff staut sich die erste Besucherschlange. Die Menschen fluten durch die Hafentore immer noch nach.

Ich suche und finde die Schiffsmodellbauhalle mit Hilfe des Planprospektes, was immer griffbereit sein muss. Unter den vielen Exponaten ist auch ein Windjammermodell und ich plausche mit dem stolzen englischen Erbauer über Einzelheiten, verstehe nicht alles, habe aber guten Kontakt. Die Visitenkarten werden ausgetauscht. Modellbauer sind eine internationale Familie, scheint es. Um 12:00 Uhr bin ich das erste Mal fußmüde und hungrig, schnell an Bord zum Essen. Hier ist das erwartete Getümmel noch begrenzt. Die vielen Souvenirstände sind noch nicht richtig entdeckt worden, denn die Festivaleröffnung fand woanders statt. Nach dem Essen jetzt 30 Minuten Kojeund Beine hoch legen, denn gestern war es doch etwas pät. Nach 13:00 Uhr treibt mich und Lindsay die Unruhe wieder hoch: Jetzt weiter in Stichpunkten von diesem Nachmittag.


Kriegsvorführungen der NATO-Schiffe im Hafenbecken, an Bord der Fregatte Emden deutsches Bier trinken mit Lindsay, Plausch mit den Matrosen am Tresen, donnernde Hubschrauber aller Größen, Düsenjäger, Kämpfer seilen sich auf die Kampfplattform ab, Panzer werden von Landungsfahrzeugen angelandet, es ballert, knallt, raucht und stinkt.


Nichts für mich, aber das Publikum sitzt auf den riesigen Tribünen rings um das Geschehen und harrt tapfer aus. Wir gehen weiter durchs Gewühl zum Open Ship auf Cisne Branco, Shabab Oman und Palinuro. Dann finden wir gezielt die Shantybühne Shantymenund hier lauschen wir den ständig wechselnden Gruppen. Es ist herrlich und ich schwelge in diesem Genre von Tönen und kernigen Männerstimmen. Das liebe ich! Das gehört hierher! Um 18:00 Uhr geht es zum Abendbrot zurück und wir geraten in einen riesigen Karnevalsumzug. Dann rauf auf die Mir. Dort organisiere ich für Lindsay eine Spezialführung durch das ganze Schiff. Wir sehen die auslaufende Seacloud II, ein schnittiger Kreuzfahrer. Ein Foto noch schnell schießen davon. An den Piers stehen weitere kleinere Shantymengroups. Kassetten und CDs werden gekauft. Man kann nicht anders, was solls! Was machen wir heute noch? Noch einige Abendfotos von Victory und Shtandard und dann kommt meine Guinnes-Revanche. Das Bier zischt richtig herunter. Noch eins! Lindsay hat noch Elan. Wir gehen zum Einlaufstrom vor und erwischen gerade die 3 schmucken frisch eingelaufenen norwegischen Segelschiffe: Sørlandet, Christian Radich und Statsraad Lehmkuhl. Lindsay ist von ihnen begeistert. Jetzt ein Besuch auf der Shtandard. Leute von der SEDOV sind auch an Bord, sicher wegen der hübschen Mädchen, die gern alles erklären auf dem kleinen Schiff, was ohne jeglichen Komfort ist. Man trifft sich wieder mit freundlichem Hallo, einige Informationen zum Schiff und "See you later"! Weiter geht es. Ich erzähle Lindsay die Geschichte von Zar und Zimmermann aus der Historie passend zu diesem Schiff. Er staunt. Im Crewcenter ist es wieder urig und eng aber wieder mit Live-Musik. Jetzt ist es genug für heute, ab an Bord, duschen und weg. Ein toller Tag! Portsmouth ist Hanse Sail mal vier!

25. August 2001


Ich schreibe jetzt nur spät Abends! Ein weiterer erlebnisreicher Tag liegt hinter mir: Lindsay machte alles mit. Wir sind Freunde inzwischen. Zuerst lotst er mich auf den großen Flugzeugträger der Briten Illustrios. Hier starten Senkrechtstarter und Hubschrauber, das riesige Innere ist eine gewaltige Ausstellungshalle, heute mit freundlichen, uniformierten, englischen Seedamen, die unermüdlich erklären und führen. Überall auffallend viele Mädchen in der englischen Marine. Harriers und Tornados dröhnen über uns. Aha, die täglichen Kriegsspiele fangen wieder an. Kunstfliegerformationen mit farbigem Rauch fliegen enge Figuren. Es reicht! Und was das kostet! Wir hauen ab zur Cuauhtemoc. Viva Mexico, schönes Schiff, freundliche Besatzung, sehr zuvorkommend. Dann endlich raus in die Stadt vor das Victory-Gate. Hier liegt, wie ein schwarzes Ungetüm, die Warrior, wie wenn sie den Hafen bewacht. Bunt geflaggt auch sie, herrliches Bild! 2 Stunden an Bord vergehen unbemerkt, so interessant ist das Schiff. Ein riesiges durchlaufendes Oberdeck ziemlich leer, VorderladerVorderlader auf HMS Warrior für Vollkugeln und die neueren Armstrongkanonen als Granatenhinterlader gemeinsam auf einem Schiff mit Segelrigg und damals modernster Dampfmaschine mit liegenden Zylindern. Und das alles auf einem Schiff! Sehr gepflegte Wohnräume, an Bord sind auch Leute in passend zur Schiffszeit historischen Uniformen. Mich begeistert nicht das Militärische dieser Tötungsmaschine, als eher der historische, schiffbauliche Aspekt. Die Warrior war mein zweites Traumziel neben Victory und Cutty Sark. Das bleibt unvergessen!

Zum Essen, 19:00 Uhr, schnell wieder an Bord. Dann geht es wieder ins Gewühl. Überall spielen Standbands oder es marschieren Militärkapellen, Schottenpipes wechseln mit weiblichen Seekadetten, aber keiner stört den anderen. Dazwischen sind Samba-Gruppen und Steel-Bands. Mit Lindsay trinken wir im Crewcenter unser letztes gemeinsames Bier. Morgen früh muss er von Bord. Er bedauert es auch. Versprechungen werden gemacht, Adressen ausgetauscht. Ja, ich schicke dir dies und du das, alles Gute, es war schön mit dir in Portsmouth.

Es ist stressig und schwülwarm den Tag über aber auf Grund der vielen Eindrücke merkt man das Anstrengende erst am Abend. Die Menschenmassen können Sonntag nur noch mehr werden. Man denkt, ganz London ist hier.
Also Good bye, bis Morgen!

26. August 2001


Der Festivalhöhepunkt ist wohl erreicht. Es ist ein trüber Tag. Regen liegt in der Luft. Um 8:00 Uhr gehe ich gleich zum Hafenbahnhof um Züge nach London auszukundschaften und die Strecke zum Seesacklaufen morgen auszumessen. Es sind mindestens 2,5 km! Alle 20 Minuten gehen Züge am Tag nach London-Waterloo-Station! Ich sehe mir nochmals die Warrior an und fotografiere die Gallionsfigur in der Morgensonne. Gott Mars stellt sie dar. Gallionsfigur der HMS WarriorEs ist nochmaliger Andrang vor dem Gate aber ich werde reibungslos durchgelassen. Ich besuche das Wrackteil der Mary Rose in seiner Sprühhalle und gehe dann in das zugehörige Museum mit den gefundenen Artefakten. Das ist das eigentliche Interessante bis zu den gefundenen Menschenresten, Ausrüstungen, Kanonen u.a. An der Victory reihe ich mich doch noch mal in die Warteschlange ein. Ich muss einmal noch an Bord. Unten läuft das Eröffnungsspektakel des Festivals ein letztes Mal ab. Gegenüber liegt das Victory-Museum und wird auch besucht. Danach noch ein Bummel über die historische Marktstraße mit ihren typischen Ständen und Menschen in historischen Kleidungen. Kleine Spielszenen lockern das Markttreiben auf. Es gibt überall Fotomotive ohne Ende aus diesen vergangenen Zeiten. Hier steht die englische Historie und nicht der Kommerz im Vordergrund.

Zum Shantykai muss ich auch noch. Hier treten ganztägig noch einmal alle gemeldeten Gruppen bis Abends nacheinander auf. Zu 13:00 Uhr, Mittagessen an Bord, setzt Dauerregen ein. Neue Trainees kommen an Bord, also wird der Regen mit Erzählen und Bekanntmachen überbrückt und den neuen Leuten mit Tipps weiter geholfen, wie bisher eben. Man kann gar nicht anders. Einigen zeige ich auch den Hafen als es etwa um 16:00 Uhr zu regnen aufhört, haben sie doch nur diese wenigen Tage. Zurück zieht es mich dann zu den Shantys. Die Polen und die Bristol-Shantymen sind besonders stark und werden gefeiert. Das Publikum und ich singen mit. Winfried verabschiedet sich nach Hause. Er ist Eisenbahner und fährt quer durch Europa umsonst. Er will sich später mal melden. Ich besuche nochmals Jewgeni. Er sagt: Für dich ist meine Kammer immer offen. Wir sprechen über meine Idee, sein eventuelles Engagement als künftiger Traineebetreuer und anderes. Er möchte das schon gern, müsste aber auch von der Schiffsführung motiviert werden.


27. August 2001


Der letzte Tag des Festivals of the Sea bringt noch mal einen heißen Tag. Ich pilgere in die Stadt, durch das Victory-Gate, zur Warrior. Ich brauche noch einige Fotos und finde das Schiff einfach großartig. Dabei muss ich an den Zerstörern vorbei, von denen die Winston Churchill der US-Navy heute den größten Zulauf hat. Eine amerikanische Militärkapelle spielt auf dem Achterdeck guten Glenn-Miller-Sound. Die Kriegsspiele im nahen Kriegshafen erreichen noch mal einsame Höhepunkte. Fallschirmspringer mit buntem Rauch zeigen Figuren aller Art, danach liefern sich Spitfirejäger aus dem 2. Weltkrieg heftige Scheinkämpfe. Sogar 2 Lancasterbomber, die soviel Elend über deutsche Städte brachten, dröhnen tief über den Hafen hinweg.

Ich gehe lieber noch einmal zu den Shantygruppen. Die englischen Forebitter sind heute besonders gut. Man vergisst alles dabei, hört einfach zu und singt die Refrains mit, während im Hintergrund die ersten Jachten und kleinen Segler bereits ihre Liegeplätze aufgeben. Irgendwie merkt man den Akteuren im Hafen an, dass die Spannkraft nachlässt. Trotzdem spielen überall die Kapellen, aber sie stehen heute mehr am Ort als dass sie laufen. Es ist zu heiß, 28-30°C, schätze ich. Um 19:00 Uhr beim Abendbrot flüstert mir Ljuba, unsere gute Seele, die Parole zu: Manfred, heute Nacht 3:00 Uhr Auslaufen!  Oh Schreck, kann das wahr sein? Ich laufe zu Dima Rajew, aber es stimmt. Er gibt mir den guten Rat, um 2:00 Uhr aufzustehen und bald von Bord zu gehen, denn das Schiff würde verholt werden zum Auslaufen und dann keine Gangway mehr bekommen. Alle alten Trainies packen jetzt fieberhaft, auch die beiden jungen Franzosen beginnen endlich Ordnung zu schaffen. Leider tun sie das mitten in der Nacht, also ist an etwas Schlaf nicht zu denken. Ein großes Stullenpaket und Tee habe ich auf alle Fälle beiseite gebracht, der Seesack ist klar, nun beginnt überall das Verabschieden. Einige Freunde erreiche ich nicht mehr, andere sagen, warte, wir sehen uns noch in der Frühe.


28. August 2001


Als um 2:00 Uhr der Wecker schrillt, bin ich sofort hellwach und schnell mit dem schweren Zeug an Deck. Alwin, unser Mann aus Nottingham ist schon da, weil wir gemeinsam nach London wollen. Geteiltes Leid ist halbes Leid und so kommt es auch. Wowa, Alexander Konstatinowitsch, und auch Kapitän Mischinjow sind schon auf Deck und herzliche Worte werden auch hier gewechselt. Plötzlich schrillt das Klingelsignal "All hands on deck" in die Nacht, der Schlepper tutet schon am Dock-Tor, es ist Zeit zu gehen. Auf Wiedersehen SEDOV, ein letzter Blick geht zurück, wo das Schiff noch weiß und strahlend beleuchtet nicht mehr lange an seinem Platz liegt.


Nun tippeln wir beide mit zentnerschwerem Gepäck in die warme Nacht, durch den schlafenden Hafen dem Bahnhof zu. Was ist los? Victory-Gate, kurz vor dem Bahnhof ist verschlossen! Eine Polizeistreife und ein junger Mann mit Freundin helfen sehr nett unser Gepäck zu transportieren, denn sie sehen, es geht bei Alwin kaum noch. Ich schwitze auch ganz schön. Nach einem langen Umweg erreichen wir über ein Schlupfloch am Marlborough-Gate endlich den Bahnhof. Geschafft! Wir sind die ersten Fahrgäste des ersten Zuges um 4.30 Uhr nach London-Waterloo-Station. Der Schaffner ist sehr nett und gibt mir für London wertvolle Tipps zu günstigen Fahrkarten dort und Gepäck-Aufbewahrungsmöglichkeiten. Alwin und ich dösen bis London und dann endlich kommt der letzte Abschied. Auch Alwin ist ein Freund: See you later, perhaps next year! Ja, vielleicht, wer weiß?


Ich muss jetzt das schwere Gepäck loswerden, finde den Schalter auch und muss mein Tagesgepäck umpacken. Argwöhnisch beobachtet mich das Personal, ob ich wohl ein Terrorist bin. Sie haben einschlägige Erfahrungen mit Gepäckbomben und durchleuchten mein Zeug gewissenhaft. Auf dem Bildschirm ist alles zu sehen, was ich drin habe. Dafür löhne ich etwa 36,- DM für diese 3 Gepäckstücke bis 24:00 Uhr. Wenn das mit den Preisen so weiter geht? Jetzt erkunde ich am U-Bahn-Schalter, ob es eine Traveller-Card  für drei Tage gibt, die U-Bahn, Stadtbusse und Citytrains in der Umgebung der Stadt einschließt. Nein, es gibt diese 3-Tages-Karten leider nicht mehr, nur noch für 7 Tage aber dafür brauche ich ein Passbild, erklärt man mir. Es soll Fotoautomaten geben, die Schnellpolaroids anfertigen. Der erste Automat will mich nicht und auch den jungen Engländer nach mir nicht. Der ist sehr freundlich und nimmt mich mit zu einer anderen Maschine in eine andere Ecke des Riesenbahnhofes. Dort hilft er mir beim umständlichen Bedienen des Automaten und ich revanchiere mich mit Geldwechseln. Es funktioniert endlich und bald halte ich für meine 6 Pfund 4 noch warme Passbilder in der Hand. Jetzt wird mir höflich der Fahrausweis für 60,- DM ausgehändigt und das ist an Einzelfahrscheinen gerechnet, noch sehr günstig für 3 Tage London.

Jetzt hinein in die Metro, die hier Tube heißt. Es ist rappelvoll auf den Rolltreppen und Bahnsteigen, denn jetzt will London zur Arbeit. Aus den Wohnvorstädten rollen die Massen an. Alle Typen von Leuten kann man beobachten. Deshalb suche ich mein erstes Ziel, St.-Pauls-Cathedral, lieber zu Fuß auf. Dann, immer wieder mit Metro fahren. Dazwischen finde ich auch den Tower und neben der Tower-Bridge entdecke ich auch die etwas versteckten Katherine-Docks, die mir Winfried so empfohlen hatte. Dieser kleine Nebenhafen der Themse zeigt noch altes London, mit malerischen Brücken, alten Dockhäusern, kleinen Läden, viel Blumen und Farben und elegante Jachten und historische Boote. Es ist ein Kleinod im Stillen. Man hört die Stadt nicht mehr. Dafür krähen Hähne wie auf dem Dorf, es geht auf Mittag zu und plötzlich werde ich steinmüde. Die letzt kurze Nacht will ihren Tribut. Also suche ich mir eine sonnige Parkbank am Themseufer, gegenüber dem Kreuzer Belfast, um etwas zu ruhen. Und siehe da, ich bin mit meinem Vorhaben nicht allein, sondern in bester Gesellschaft. Nach einer guten Stunde bin ich wieder frisch und bummle weiter am Themseufer entlang.

Aber die richtige Zielstrebigkeit will sich nicht mehr einstellen und so entschließe ich mich, um 15:00 Uhr mein Schlafquartier in der Vorstadt Hithergreen anzusteuern. Jetzt schnell das Schwergepäck abholen, wieder umpacken und den Cityzug finden. Endlich eine Auskunft: Yes Sir, dieser Bahnsteig ist richtig. Alle diese Züge von hier fahren über Hithergreen. Ich wuchte mein Gepäck in den Zug und bin beruhigt. Nach 25 Minuten huscht das Ortsschild gut lesbar kurz vorbei, weil mein Zug einfach nicht hält. Was für eine tolle Auskunft! So fahre ich weit über die dritte Reisezone meiner gelösten Traveller-Card hinaus, bis ich endlich zurückfahren kann, aber alles geht gut. Gleich am Bahnhof finde ich auch meine Dungrievie-Road 32 und eine freundliche Miss Brown empfängt mich, wie einen alten Freund. Ihre kühle Cola weckt meine Lebensgeister wieder. Ein voller Kühlschrank mit Küche, ein kleiner Hintergarten, praktisch das ganze Haus steht zu meiner Verfügung. Nur mit der englischen Hausschlüsselanlage habe ich anfangs Probleme und der Steckdosenadapter fehlt mir auch. Handy und Rasierer brauchen aber Strom. Ja, es gibt einen Elektromeister, rät mir die Wirtin, und zeigt mir auch einen billigen Coop-Shop. Der Elektromeister hilft mir sehr freundlich und ich bezahle. Plötzlich kommt er mir noch nach und gibt mir 5,- DM auf der Straße, die er wegen des Euros sowieso nicht mehr umsetzen kann. Na, prima, damit ist mein Adapter wieder voll wettgemacht. Trotzdem dass der Kühlschrank bei Miss Brown mit guter Verpflegung voll gestopft ist, kauf ich für den Tagesbedarf doch noch Etwas ein und denke auch an eine kleine Aufmerksamkeit für meine Wirtin, die sich sehr freut. Ich habe eine sehr familiäre Unterkunft erwischt, viel besser als ein Hotel, obendrein preiswert und nette kleine Gespräche gratis. Am Morgen gehen die Hausbewohner zur Arbeit und mir wird als Letztem alles anvertraut.


29. August 2001


Ich bin allein im Haus und walte in der Küche umher bei einem ausgiebigem gesunden Frühstück. Jetzt Proviant in den Rucksack und um 9:00 Uhr wieder der City of London zu. Erst einmal geht es nach Liverpool-Station, einem weiteren Riesenfernbahnhof, um die Zugabfahrt morgen nach Harwich zu erkunden. Aha, 15 Pfund bis Harwich-International, ab 13:25 Uhr, aber welcher Bahnsteig ist nicht rauszukriegen. Mit der Metro fahre ich nach Westminster-Station, denn ich will Whitehall hoch laufen Richtung Trafalgar-Square. Die berittene Wache am Haus der königlichen Horse-Guard ist mein Ziel. Verwunderlich, die Husaren Horse-Guardsind alles stramme Mädchen. Ich schlendere vom Square die Prachtstraße The Mall hinunter an den vielen historischen Denkmälern vorbei nach Buckingham-Palace. Es strahlt hinten schon in der Sonne. Das Schöne ist, auf der Mall geht man als Fußgänger durch einen Bäumetunnel stets im Schatten. Auf dem Platz vor dem Palais bewundere ich das klotzige Denkmal Victorias in der Mitte und biege dann ab in den wunderschönen St.-James Park mit dem langen See darin. Auf dessen Mittelbrücke hat man einen einmaligen Blick auf Buckingham-Palace auf der einen und die Altstadt auf der anderen Seite.

Wie immer sind bei gutem Wetter wie heute alle Wiesen und Parkbänke mit Besuchern belegt und auch ich packe mein Lunchpaket aus. Jetzt forsche ich an der Themse nach Victorias-Tower-Garden, wo mir damals bei der Stadtrundfahrt flüchtig ein malerisches gotisches Kapellchen auffiel. Ich finde es in der Nähe des Parlamentes, komme aber wegen einer Absperrung nicht heran. Aber wozu gibt es Teleobjektive? Nun bummle ich die Millbank-Street zur Lambeth-Bridge hinunter. Das Rot der Brückenkonstruktion leuchtet im schönen Kontrast zum Blau der Themse im Sonnenlicht. In Westminsterstation tauche ich wieder hinunter in die Metrotiefen, um nach Soho zu kommen. China-Town und Windmill-Street sind voller Leben. Alle Rassen der Welt scheinen hier zu wohnen. Man sieht es auch an den Müllecken, dass die Stadt hier Probleme hat. Auch etwas Schlüpfrigkeit im scheinbar sonst prüden England findet man hier, immer mal eine heruntergekommene Peep-Show oder Ähnliches hält sich hier über Wasser.

So trotte ich schon etwas pflastermüde runter bis Piccadilly-Circus, um hier im Abendlicht gerade die Leuchtreklamen starten zu sehen und den Eros-Brunnen in der Mitte des Platzes zu bewundern. Auf Wiedersehen London-City und nun zurück nach dem ruhigen Hither-Green zu Miss Brown. Mit ihr mache ich noch ein kleines Schwätzchen im Hausgarten, genehmige mir ein Büchsen-Guinnes und dann verabschiede ich mich dankbar und herzlich von meiner Wirtin, da ich morgen um 9:00 Uhr allein das Haus verlassen werde. Sie bietet mir noch ein Bier an. Danke! Noch etwas im Conrad lesen.


30. August 2001


Ich erreiche Liverpool-Station recht früh um 11:00 Uhr und finde nun auch meinen Bahnsteig nach Harwich-International heraus, habe aber bis 13:25 Uhr noch Zeit. Also setze ich mich geruhsam in das Gewimmel mitten in die Bahnhofshalle und schreibe an diesem Reisebericht, ohne auf die Leute zu achten, fleißig Seite für Seite. In Hither-Green hatte ich noch einen netten Zettel meiner Wirtin vorgefunden und mir reichlich Essvorräte für die Fährfahrt angelegt, denn meine Pfunde sind planmäßig schon zu Ende. Wohl wird mir erst sein, wenn ich an Bord der Fähre eingecheckt habe. Werden meine vorgebuchten Papiere ausreichen? Wird mein zu schweres Gepäck über 50 kg etwa beanstandet werden? Komme ich rechtzeitig an? Wie weit ist es vom Zugbahnhof zur Fähre noch zu laufen mit dem Gepäck? An so etwas denkt man doch. Aber alles geht gut.

Eine nette deutsche Reisebekanntschaft im Zug hilft die Fahrt verkürzen. Deutsche scheinen sich in der Fremde auch sofort zu erkennen. Er spricht mich also an und dann plauschen wir über Gott und die Welt. Bis zum Anmarsch ins Fährterminal sind wir zusammen, dann verlieren wir uns. Ich habe nur Liegesessel, er Kabine gebucht. Die Liegesessel entpuppen sich als steile Konferenzsessel ohne Verstellmöglichkeit, dicht wie in einem Flugzeug angeordnet aber das anliegende Achterdeck ist schön frei nach hinten und wird von den Leuten zum Sitzen und Schauen genutzt z.B. um 16:00 Uhr das Ablegemanöver aus nächster Nähe. Unter dem Eisendeck des Raumes hämmert die Wellenanlage der Fähre. Da wird kaum Schlafen möglich sein und in den Sesseln wird man nur krumm zur Nacht. Also mache ich es wie schon einige Tramps um mich herum, lege mich auf den weichen Fußbodenbelag, etwas Weiches aus dem Gepäck unter den Kopf und versuche zu ruhen. Das Vergnügungsangebot auf der Fähre kann mir gestohlen bleiben. Ich sehe bis zur Dunkelheit Englands Küste entschwinden, die Schiffslichter anderer Schiffe, die Hecksee unseres Doppelschraubenschiffes Admiral of Scandia. Das ist viel schöner. Drinnen kann man bei Licht im Sessel noch etwas weiter im Reisebericht kommen.

Am Morgen des 31. August 2001 krabble ich etwas steif im Rücken hoch. Im Deck sieht es aus wie im Heerlager, weil es viele mir nachgetan hatten. Auf der Toilette wird das legere Nachtzeug gewechselt, sich gewaschen, fertig. Auf dem Achterdeck beginne ich eine kleine Unterhaltung über den sichtbaren Dreimaster auf Steuerbord und peile nach Helgoland aus. Dann per Handy noch bei Lothar in Neustadt Glewe anrufen, damit er mich in Hamburg Fährkai um 13:00 Uhr abholen kann und nach Kühlungsborn zu Thoralf und meinem Auto bringt. Auch nach Hause zum Frauchen geht eine Meldung ab. Beim Einlaufen Cuxhaven-Oberelbe ist es nasskalt und etwas diesig. Ein guter Tag zum Beenden eines Urlaubs. Die hübschen Villen von Blankeneese reizen aber doch zu letzten Fotos. Dann 12:30 Uhr sind wir fest und die Heimat hat mich wieder.

 

Tower Bridge House of Parliament

(Diese 2 Bilder sind von Ralf Baier)


Vom 11. bis 31.08.2001 war ich fort. Es war ein toller Törn, Tatsache!

 

Vorige Seite       Zurück zu Reiseberichte